Wettbewerb 2011

Maike Braun - Das Auge der Eifel


Antenne West Newsticker:
Wittlich, Hochschwangere Frau verschwindet aus St. Elisabeth Krankenhaus.

Ihr Großvater mochte ihre Mutter nicht. Sie war ihm zu dreckig. Jedes Mal wenn er ihr die Hand schüttelte, fragte er sie, ob sie sie gewaschen habe. Die dunkle, aschgraue Haut um die Fingerknöchel hielt er für Schmutz. Sie hingegen hatte die Gene des Vaters. Sie war hell wie Milchkaffee. Der Großvater nahm sie mit zum Maar, auch Auge der Eifel genannt. Dort fuhren sie auf dem Boot hinaus auf das Wasser. Während der Großvater angelte, träumte sie davon, schön und reich zu sein. Das verriet sie ihm aber nicht. Sie erzählte ihm nur, dass sie reich werden wolle.

Sie schrubbte die Hände mehrmals täglich. Sie trug lange Röcke und die Blusen zuge- knöpft, nicht wie ihre Mutter, die ihren Vater mit ihrem tiefen Ausschnitt angelockt hatte. Der hatte sich darauf gefreut, die ausgelegte Ware ganz für sich zu haben. Doch die Mutter zeig- te auch nach der Hochzeit noch her, was sie mit sich herumtrug. Eine Ehe ist doch kein Kloster, sagte sie. Der Vater schimpfte sie Zigeunerschlampe. Sie knallte mit der Tür und stöckelte ins Dorf.

Ihre Mutter sang gern. Aber sie sang nicht wie die anderen Leute im Kirchenchor. Es jauchzte und galoppierte in ihren Liedern, mit den Fingern schnipsten sie den Takt und sie schwang die Hüften dazu. Für den Vater war Singen dasselbe wie tiefe Ausschnitte. Deswegen wartete die Mutter, bis sich der Vater auf den Weg zur Gipsgrube gemacht hatte, bevor sie vor sich hin trällerte. Dann brauchte man den Vater in der Grube nicht mehr und er kam früher nach Hause. Als er die Mutter singen hörte, packte ihn die Wut. Er kippte den Kaffee in ihren Ausschnitt. Vom Krankenhaus kehrte sie nicht zurück.

Plötzlich war es still in der Wohnung und man hörte nur noch das Husten des Vaters. Der sagte: warum kennst du keins ihrer Lieder? Er hatte vergessen, dass er ihr verboten hatte, die Zigeunersprache der Mutter zu lernen. Er war einsam. Sie auch. Sie trösteten sich gegenseitig. Die Bluse blieb zugeknöpft. Es reichte ihm, ihr unter den Rock zu fassen.

Der Großvater kam und holte sie ab. In Meerfeld sei die Luft besser, sagte er. Nachmittag für Nachmittag saß sie am Maar und starrte die Kraterwände hinauf, während er die Fische ausnahm. Sie fragte sich, ob sich jemand in hundert Millionen Jahren, in zehn Jahren, wenn der Großvater gestorben war, noch an sie erinnern würde.