Verbleichende Schatten.                                                  J.Wolf Breiden

Seit den frŸhesten Morgenstunden waren wir mit unserem kleinen Kahn auf See gewesen. Meine Aufgabe war es, die in der Nacht ausgelegten Netze per Hand einzuholen. Jetzt lagen wir in einer kleinen, abgelegenen Bucht an der SŸdkŸste Kretas  vor Anker.

Erschšpft lie§ ich mich in den Sand fallen. Die Sonne stand noch nicht sehr hoch, es war April aber schon ziemlich hei§. Einige Tamarisken gaben einen wohltuenden, hellen Schatten. Die Bucht war menschenleer bis auf eine einzelne Frau, die sich am anderen Ende sonnte. Sofort schlief ich ein.

Mich fršstelte plštzlich. Ich wachte auf. Die Luft war bleiern und grau. Irgendetwas stimmte nicht! Kein Laut war zu hšren, kein Vogelgesang, kein Zikadenzirpen. Das Meer lag spiegelglatt und silbern wie aus Quecksilber.

Ich sah, wie die einsame Badende auf mich zu kam. Als ich zu ihr aufblickte sah ich, da§ die Sonne fast verschwunden war obwohl keine Wolken am Himmel waren. Die Schatten der BŠume waren verschwunden. Die Farben nur noch bla§ und schmutzig.

            Die Frau sah mich fragend an. Sie zitterte am ganzen Kšrper.ãAre You American?Ò fragte sie mit sehr britischem Akzent und aus einer Laune heraus bejahte ich. ãDarf ich mich zu dir setzen? Ich fŸrchte mich entsetzlich!Ò Ich wies einladend auf mein gro§es Handtuch. ãEine Sonnenfinsternis!Òsagte ich erklŠrend. Sie nickte und legte sich neben mich.

Aus dem Augenwinkel beobachtete ich sie. Undefinierbares Alter um die drei§ig. Ihr Kšrper war in Bestform, sportlich und braun gebrannt. Sie zitterte gottserbŠrmlich und plštzlich fing sie fŸrchterlich an zu weinen. Ich legte mein Hemd Ÿber sie und versuchte sie zu beruhigen. Es nŸtze nichts. Also legte ich meinen Arm um sie und drŸckte sie an mich. Wir redeten kein Wort.

            Inzwischen stand die Sonne nur noch als dŸnne Sichel wie ein tŸrkischer Halbmond am griechischen Himmel. TodmŸde wie ich war, schlief ich wieder ein – engumschlungen.

Als ich wieder aufwachte, war das Licht wieder heller. Die Farben kehrten zurŸck und es wurde wŠrmer. Vereinzelt wagten einige Všgel ein leises Lied. Die Unbekannte schlief fest in meinen Armen.

            Die Frage ob etwas Zufall oder Bestimmung ist, wird wohl immer unbeantwortet bleiben, falls nicht doch ein eventuell eintretender ãJŸngster TagÒ die Lšsung aller RŠtsel bietet

Die Sonne hatte ihren hšchsten Stand Ÿberschritten. Die Schatten schwŠrzen sich zusehends wie Fotopapier in der Entwickler­schale. Kontraste steigen aus der Fahlheit, Lichter werden heller, Dunkles dunkler, Farbiges farbiger. Durch die Sonnenbrille sah ich nur noch einen kleinen, dunklen Fleck am Rande der Sonne. Die WŠrme tat gut und meine Unbekannte erwachte. Mit gro§en, dunklen Augen sah sie mich an. ãDanke!Òsagte sie und kŸ§te mich.

Vorsichtig wie Armstrong seinen Fu§ auf den Mond, so setzten wir gleichzeitig unsere Fingerspitzen auf den Kšrper des Anderen, langsam in immer grš§eren Kreisen diesen unbekannten Planeten erforschend, allzeit bereit sich zurŸckzuziehen auf das "Mutterschiff" in die Geborgenheit des eigen Ichs. Aber hier war keine Gefahr, kein Verletzt werden ersichtlich. Die Schšnheit unserer Entdeckungen Ÿber­wŠltigte uns. Die Worte verstummten und wir lagen uns in den Armen.  Greifend, klammernd, das Gefundene nur ja festhaltend. Die Lust eine Haut zu spŸren, einen fremden Mund mit der Zunge abzufahren! Schwei§ in der Sonne, die Haare kitzelnd auf der Haut und Leidenschaft Ÿber­kam uns. Wir rollten im klebenden Sand, Beine und Arme ineinander verrenkt wie Laokoons Glieder mit der Schlange.

            Irgendwann dann - kurz vor der Ekstase - durchfuhr mich der Schock. Mein ganzes Inneres verkrampfte sich. GefŸhl, Verstand und Unter­bewu§tsein reagierten vollkommen synchron auf diesen einen optischen Reiz. In den Himmel war mit Gewalt die Hšlle eingebrochen! Ich hatte ihren Arm gesehen. Sei es, da§ wir uns schon so nahe gekommen waren, da§ die Im­pulse schon direkt Ÿber unsere Haut verstanden wurden, sei es, da§ sie diesen Schock kannte aus der Erfahrung ihrer Jahre, sie verstand sofort. Resigniert wendete sie sich von mir  ab und ich tat in einer gegenlŠufigen Bewegung das gleiche. Mit toten Augen stierte ich in den Himmel und war unfŠhig sie anzusehen. Sie hob ihren Arm vors Gesicht."Ich war noch ein Kind, deswegen sind sie so gro§." ErklŠrte sie, und ihre sonore Stimme lšste meinen Krampf. Mit blauer Tinte war auf ihrem Unterarm eine KZ Nummer eintŠtowiert." Sie ist mitgewachsen! Zusammen sind wir aufgewachsen. Ich bin ihr nie entwachsen. Wir werden zusammen alt"wachsen" (so die wšrtliche †bersetzung). Der Hšlle kann man nicht entfliehen!"Es folgten lange, stumme Augenblicke. Bilder zerfetzten nein Gehirn: Fotos – schwarz –wei§ ,Wochenschauen.  Amerikanische und Russische Filme. Gešffnete Tore, Skelett, …fen. MŸtter mit Kindern mit gro§en, verhungerten Augen. - Gespenster die sich an StacheldrahtzŠune drŠn­gen. Gestalten, die so wenig Fleisch als Wangen haben, da§ das unglŠubige LŠcheln Ÿber gešffnete Tore zu einer Horrorgrimasse wird, mit der sie ihre Befreier begrŸ§en. GerichtssŠle wo Zeugen ihre Unter­arme entblš§en.

UnglŠubig blickte ich zu ihr rŸber. Konnte es da eine Verbindung geben zwischen diesem schšnen, braungebrannten Kšrper und diesen schwarz­wei§en Archivfotos? Sie hatte die Augen geschlossen. Der Ausdruck einer Sphinx. Sie spŸrte meinen Bick.

"Ich hasse die Sauerkrauts! Noch immer. Ich wei§, ich sollte dies nicht sagen, nicht fŸhlen. Ich kann nicht anders! Ich habe es oft bekŠmpft. Ich kann aber nicht vergessen! Ich mag die Krauts auch heute noch nicht!"

Da ist er, dieser Knoten in meinem Hals, den wir Deutsche bei so manchen Reaktionen im Ausland , schlimmer denn je, und ich habe das GefŸhl, er ist zu Recht da. Ich bin schuldig. Verlogen. Da sa§ ich nun unter meiner amerikanischen Tarnkappe und hatte mich eingeschlichen als deutscher Spion in ihr GefŸhl, lie§ sie unbewu§t zum VerrŠter an ihren Erfahrungen werden. Ich mu§te es ihr sagen. Mit einer LŸge kann man keine Beziehung beginnen. Aber die Wahrheit, spŸrte ich, wird sie beenden, ehe sie recht begonnen hat. Dieser Gedanke traf  mich viel schmerzlicher als ich gedacht hŠtte. Ich liebte sie! Schon jetzt, jetzt schon. Schon hatten wir zu viel abgeblŠttert von unseren Egos. Schon zu viel preis­gegeben. Schon zu viel erkannt und alles stimmte, wie ein Puzzle das aufgeht, so fŸgten wir uns ineinander. FŸr einander gemacht schienen wir, allen Wahrscheinlichkeitsstatisken zum Trotz; nun plštzlich diese zwei Steine, die sich nicht harmonisch ins Bild fŸgten, die deutsch -jŸdischen Puzzlesteine. Als ob sie meine Gedanken erriet, murmelte sie:

"Ich kšnnte nie einen Deutschen lieben!" Und dann mit einem hellen Lachen wirft sie sich auf mich, "aber du bist ja kein gottverdammter Kraut. Dich kann ich lieben und ich glaube, ich fange schon an damit, du Schei§kerl! Verdreht mir mit seinem all- american Charme den Kopf. "

Sie bi§ mir liebevoll in die Nase, legte sich kuschelnd wie eine Glucke auf mich drauf, pustete meine HaarstrŠhne aus der Stirn und blickte mir tief in die Augen. ãIch liebe ihre SommersprossenÒ, dachte ich im Bruchteil einer Sekunde von ihrer erneuten Fršhlichkeit hinge­rissen, bis mein Magen wieder versackte. Judas mu§ sich so gefŸhlt haben nach dem verrŠterischen Ku§. Sie wollte unser unterbrochenes Liebesspiel wieder anfangen. Ich konnte nicht. Unmšglich. Bevor sie es merkte, schaute ich auf die Uhr." Es ist zu spŠt! Ich mu§ zurŸck aufs Boot!" Ich erzŠhlte, da§ ich den ganzen Sommer auf einem Fischerboot arbeitete. Da§ wir morgens und abends auf dem kleinen Kahn ausliefen, unsere hunderte Meter langen Netze setzten und sie ein paar Stunden spŠter wieder einholten. Sie schmollte, weil ich sie schon verlassen wollte, akzeptierte aber unter der Bedingung, sie morgen wieder hier zu treffen. Ich versprachs mit einem Ku§. ãIch hei§e Erika!Ò ã ThomasÒ rief ich und sprang auf und lief davon. Erst einmal Zeit gewinnen zum Nachdenken.

Obwohl wir sehr oft auf dem Schiff Ÿbernachteten, warfen wir diesmal die Netze so nahe an der KŸste aus, da§ wir in den kleinen Ort zurŸckkehrten.

Im Hafen sa§ ich dann noch mit meinen beiden griechischen Fischern und schauten der untergehenden Sonne zu. Eine Karaffe ãRakiÒ nach der anderen wurde geleert, und das Mese« war unser einziges Abendbrot. Als wir mehr als genug hatten, den Kopf voll von Schnaps und Geschichten ging ich zu dem kleinen Verschlag, den ich in einer Pension –ãBei KatherinaÒ gemietet hatte. Eine kleine Zelle mit einer dicken TŸr und einem vergitterten Fenster durch das allein Licht in das Innere gelangen konnte.

 Es drehte sich alles in meinem Kopf. Meine ZimmertŸr ratterte im Wind. Die gro§e HoftŸr wurde aufgesto§en. Herein getrieben wurden im fahlen Licht Rodins BŸrger von Calais. In Ketten. Man pferchte sie in mein Zimmer. HŠnde greifen durch die GitterstŠbe. Schreie, Stšhnen, Kettenrasseln. Ein SS-Typ verteilt Sauerkraut mit einem Schšpflšffel in die hohlen HŠnde. Eine der HŠnde ist braun und gar nicht ausge­mergelt. Erika pre§t das Gesicht an die Gitter und schlingt das Sauer­kraut in sich hinein. Es sieht aus wie ein BŸndel triefender Haare. Im Hof werden zu Skeletten abgemagerte Neuankšmmlinge lebend in Fischnetze gerollt. Die Feuerfische mit ihren giftigen Stacheln, auf die ich beim Einholen der Netze immer so achtgeben mu§, zappeln zu hunderten in den Maschen. Eine Ÿberdimensionale, lebende Dornen­krone. Schreie! Gregorius der Šltere Fischer zieht an den Netzleinen. Die KŸchentŸr im Hof wird auf­gemacht. Der Ofen ist sichtbar. Flammenschein an den TŸrritzen. Er lŠuft auf Hochtouren. Aus der Dusche nebenan steigt wei§er Rauch, der nach SŠure riecht. Ich šffne die TŸr. Erika steht unter der Dusche und aalt wohlig ihren nackten Kšrper im sprŸhenden Strahl. Plštzlich schrumpft sie zusammen, zerknittert, zerfŠllt wie von SŠure zerfres­senes Styropor. Ich werfe die TŸr mit einem Knall ins Schlo§. Es ist die HoftŸr. Gregorius steht neben mir:" Wachen auf! Viel spŠt!"

Er strich mir mit einer vŠterlichen Geste Ÿbers Haar. Ich erwachte und sah, da§ der Himmel sich schon rot fŠrbte. Es war kurz vor Sonnen­aufgang. Hšchste Zeit, die Netze einzuziehen, sonst fressen bei auf­gehender Sonne die Fische ihre gefangenen Artgenossen bei lebendigem Leibe auf und man holt nur noch GrŠten ein. Ich zog den Kopf unter seiner Hand weg ."Pame!" Sagte ich.

 

Gegen Mittag laufe ich zu unserer Bucht. Erika rennt mir freudig entgegen. Wir springen, lachen, schwimmen, legen Muschelmosaike auf unsere nackten Kšrper. Herzen von Pfeilen durchbohrt. "I love Thomas!" Wir sind ausgelassen und fršhlich und es gibt wenig Fra­gen, so verrate ich mich nicht.

Eines Tages erzŠhlt sie mir ungefragt, wie sie im Lager als kleines MŠdchen mi§braucht wurde. Jetzt lebt sie in Israel und kommt seit zwei Jahren hierher, um in Ruhe an ihrer Doktorarbeit zu arbeiten. Tief im Hals sitzt mein Klo§. Ich ignoriere ihn, wie ein Krebskranker seinen Tumor, weil er noch ein paar schšne Tage er­leben will.

 So vergingen die Tage, und Wochen. Sorglos zwischen Arbeit und Liebesspielen war es Juli geworden. Die Sonne sticht senkrecht herab. Um der Hitze zu entgehen, flohen wir ins Wasser und tummelten uns wie zwei Delphine, bis wir uns erschšpft und verfroren in den hei§en Sand fallen lie§en. Plštzlich waren wir sehr glŸcklich und sehr hungrig. Wir stiegen in unsere Shorts und schlenderten auf das Dorf zu.

WŠhrend des Essens sagte sie unvermittelt:" Einen Kraut Ÿbrigens mag ich doch!" Ich denke, sie hat mich durchschaut, aber da deutet sie auf einen alten, hageren Mann, der sich gerade an einen der Nach­bartische setzt. "Er lebt schon seit vielen Jahren hier und ver­fŸhrt die griechischen Knaben" fŸgte sie spitz lŠchelnd hinzu."Er ist ganz anders als andere Deutsche.. Ich habe ihn letztes Jahr kennengelernt. Manchmal tanzen wir abends in der Diskothek zur Bouzouki." Ich mu§ sehr er­staunt ausgesehen haben. Ob sie ihn nicht nur deswegen anders finde, weil sie ihn besser kennenlernte als andere, fragte ich. ãNein, nein! Griechenland hat ihn verŠndert". SpŠter kam er herŸber und lud uns zum Kaffee in sein Haus ein. Es war ein Zimmer mit einer herrlichen Terrasse. Au§er einem gro§en BŸcherregal war nun das Allernštigste vorhanden. Man nenne ihn hier ãKostasÒ stellte er sich vor und begann auf einem kleinen Spirituskocher griechischen Kaffee zu kochen. Sie legte ihren Kopf an meine Schulter. "Ist er nicht goldig?" Scherzte sie mit Kostas auf deutsch. "La§ ja deine Finger von ihm!" "Er wŠre aber aber eine knackige Abwechslung von der griechischen AlltagskostÒ, lachte Nikos zurŸck. Ich rutschte unruhig auf meinem Stuhl hin und her. "Untersteh dich! Der ist ganz mein!" Ich fŸhlte mich wie ein Kalb auf der Fleischbank. "Ich wu§te gar nicht, da§ du Deutsch sprichst?" warf ich auf Englisch ein, um das Thema zu wechseln "Macht dich das nervšs, wenn du uns nicht verstehst, mein gro§er, amerikanischer Dummling?" Das Versteckspiel mu§ ein Ende haben, sagte ich mir.

" Ich bin bei einer Tante in London aufgewachsen. Sie hatte mich auf dem Arm, als die Tore von Auschwitz aufgingen. So lernte ich zuerst KrautspracheÒ, erklŠrte sie. Kostas drehte uns betont den RŸc­ken zu und rŸhrte etwas zu lange in seinem Kaffeepott. Ich legte den Arm um sie und zog sie sanft auf die Terrasse. Stumm glitten unsere Blicke zu der Linie, wo sich Meer und Himmel berŸhren.

"Ich mu§ dir etwas gestehen!" Sagte ich auf Deutsch. Entsetzen in ihren Augen. Sie tritt einen Schritt zurŸck."Ich bin DeutscherÒ, kommt es mir sehr schwer Ÿber die Lippen.

Die Situation in die wir geraten sind, hat diesen Satz zu einem Schuld­bekenntnis werden lassen. Ein Ausdruck unsŠglicher Traurigkeit erfasste sie. Langsam glitt sie rŸckwŠrts in den Schatten des Zimmers. Eurydike entschwindet erneut in den Hades und wie Orpheus streckte ich die Hand aus, um sie zu halten."Erika!" Sie ist schon fort durch die TŸr, die Treppe hinunter. Ich versuchte nicht, ihr zu folgen. Einge­treten war nur, was vorauszusehen war.

Abends sah ich sie dann, wie sie am Strand stehend unserem auslau­fenden Boot nachschaute. Diese Nacht blieben wir drau§en vor Anker. Ich schlief nicht und durchforschte rŸcklings auf den Planken liegend das Universum. Griechenland mu§ dem Himmel ein StŸck nŠher sein. Man sieht mehr Sterne als anderswo. Ich fŸhlte mich winzig mit meiner verlorenen Liebe. Unendlich allein in einer Ÿbergro§en, ungerŸhrten Natur. Was erkannte ich von dieser Welt? Ein Staubkorn auf einem Raum­schiff namens Erde dahinfahrend. Welche Welten und Wirklichkeiten blieben von mir unerkannt von diesem, meinem so subjektiven Beobachtungsposten aus? Was war all dies um mich herum - Zufall oder Notwendigkeit? Was war ich, Produkt des Zufalls oder -? Einstein hatte nur bedingt Recht, durchfŠhrt es mich. Die grš§tmšgliche Geschwindigkeit ist nicht die des Lichts, sondern die unserer Gedanken. Sind sie wirklich imma­teriell? Sind sie nicht auch Energien, Strahlen, die ich jetzt durch das All schie§e? Sie stellen Verbindungen her, also kšnnen sie nicht nur in meinem Inneren verharren. Sind sie nicht nur der SchlŸssel zur Erkenntnis, sondern das Geheimnis selber? KrŠfte, die ich be­nutze, deren Substanz mir aber unbekannt ist. Der Morgen dŠmmerte und ich braue auf dem kleinen Kocher unseren Kaffee, den wir schweigend schlŸrften. Allmorgendlich eine fast sakrale Prozedur, ehe wir noch etwas steif anfangen, die Netze einzuholen.

Erika ging mir tagelang aus dem Weg. Sie war ein Schatten, den ich spŸrte, aber nie sah. Jeden Tag wurde meine Sehnsucht nach ihr stŠrker, und ich dachte kaum noch an etwas anderes. Aus lauter Verzweiflung besuchte ich Kostas šfters, weil ich wu§te, da§ er mit ihr in Kontakt stand.

Er erzŠhlte viel von seinem Leben seit drei§ig Jahren in Griechenland, nie aber von Deutschland. Dorthin wolle er nicht mehr zurŸck. Er be­kŠme von dort eine kleine Pension, mit der er hier gerade auskomme. Ich wurde nicht schlau aus ihm. Jeden Tag las er seinen Goethe, an­sonsten Reiseberichte und Lyrik. Kazantzakis und Rilke, Kavafis und neuere griechische Lyriker. Er lebte sehr bescheiden und gšnnte sich nicht einmal eine Zeitung. Eines Tages kam er zu ãKatharinasÒ in mein Zimmer. Ich lag auf der Pritsche und
dachte an Erika. Sie habe ihm aufgetragen, mit mir zu reden. Sie reise bald ab und lasse mich umarmen. ãErika liebt dich unbŠndig, aber sie sagt, sie habe nicht die Kraft, diese Liebe auszutragen. Vor sich habe sie Angst, vor der Gewalt der Erinnerungen, vor ihrem Unterbe­wu§tsein. ã Plštzlich mu§te ich lachen. All dies schien mir die Absur­ditŠt und die Ironie einer antiken Tragšdie zu haben.

"Wir kšnnen alle nicht Ÿber unseren Schatten springenÒ, bemerkte Kostas. Ich dachte unwillkŸrlich an ãunsereÒ Sonnenfinsternis. Es gibt Momente ohne Schatten, da mŸ§ten wir eigentlich frei sein! Wie von weit her hšrte ich Kostas: Er hatte auf die Grenzen in uns hingewiesen; jetzt wies er auf Grenzen au§erhalb unserer hin: "Wir kšnnen alle

nicht unserem Schicksal entfliehen!Ò

 Dies war der letzte zusammenhŠngen­de Satz, den er in seinem Leben sprechen sollte. Gedankenverloren nahm er einen Zeitungsartikel in die Hand, den ich mir aus einer deutschen Zeitung ausgeschnitten hatte. Er war schon ein paar Tage alt und die Nachricht lŠngst im Strom der Geschichte untergegangen. Besprochen wurde eine Ausstellung Afro-Amerikanischer Kunst, ein Thema, das mich interessierte. Kostas Ÿberflog ihn flŸchtig, spielte mit dem Papier, drehte und wendete es, wŠhrend ich Ÿber unser angeblich unver­meidbares Schicksal nachdachte. Plštzlich fing dieser an die siebzig Jahre Alte an zu zittern. Sein Gesicht verfŠrbte sich grŸn. Er stand auf und tappte zur TŸr hinaus. Ich lief hinterher. Was ihm fehle? Er schŸttelte nur den Kopf. "Allein!" Lallte er und stie§ mich von sich. Ich folgte ihm bis zu seiner TŸr, aber er wollte mich nicht mit hineinlassen und schlo§ von innen ab. Befremdet ging ich nach Hause. Am nŠchsten Morgen war seine TŸr noch immer verschlossen und ich kletterte Ÿber die Veranda.

Kostas lag auf dem Bett, so wie er mich verlassen hatte - angezogen. Er stank entsetzlich. Alles war vollgekotzt und auch seine Hose war beschmutzt. Er sabberte vor sich hin, als er mich sah:"FŸrchterlich! FŸrchterlich!" wiederholte er immer wieder. "Schicksal! Mein bester Kamerad! " Ich lief die Treppe hinunter, um Hilfe zu holen und stie§ beinahe mit Erika zusammen, die Kostas gerade besuchen wollte.ÒKomm mit!" Sagte ich nur und rannte wieder zurŸck. Sie stŸrzte direkt nach mir ins Zim­mer, wo sie entsetzt stehen blieb. Mit ein paar Worten erklŠrte ich, was ich wu§te und wir beschlossen, da§ sie Katharine zu Hilfe hole.

Dann sah ich meinen Zeitungsausschnitt au dem Boden liegen. Die RŸckseite lag nach oben. Ein durch meinen Schnitt amputierter Artikel war in Teilen. lesbar. Wie Schuppen fiel es mir von den Augen. und ich begriff. Kostas hatte ihn in meinem Zimmer zufŠllig gelesen und vor Aufregung hatte ihn der Schlag getroffen. Berichtet wurde Ÿber den SŸhneakt einer antifaschistischen, ehemaligen Partisanengruppe, die in Frankreich einen untergetauchten Naziverbrecher-SS-Offizier Peiper- bei Traves in Ostfrankreich  aufgespŸrt und ihn mitsamt seinem Haus verbrannt hatten. Eine Liste mit Namen von verschwundenen Kriegsverbrechern lie§en sie zurŸck und das GelŸbde, diese alle auf­zuspŸren und umzubringen.

" Thomas hier!"Stammelte  Kostas. Er bŠumte sich auf und versuchte meine Hand zu greifen. Angeekelt zuckte ich zurŸck.

"FŸrchterlich! Mein Leben. Vertan!" Er starrte mich mit riesigen Augen an. Die alte Haut sank in alle Mulden seines SchŠdels, soda§ er wie ein Totenkopf aussah.  Er sah, da§ ich begriffen hatte. Ich wandte mich ab und starrte aufs Meer. Meine GefŸhle lagen im Widerstreit und ehe ich Klarheit gewinnen konnte, hšrte ich Schritte. Hastig verbarg ich den Artikel in meiner Hosen­tasche. Erika und Katharine kamen mit TŸchern und hei§em Wasser und begannen ihn auszuziehen und zu waschen.

Den Rest des Tages und die folgende Nacht sa§en Erika und ich stumm bei ihm Wache. Ich war ratlos, ob ich ihr die Wahrheit sagen sollte. Seitlich auf dem Bett hockend erinnerte sie mich an biblische Bilder. Maria nach der Kreuzabnahme Jesu. Ihr Haar verdeckte einen Teil ihres Gesichts. Das Jahrhunderte alte Leiden ihres Volkes prŠgte jetzt ihre ZŸge. Vielleicht ist er der Henker ihrer Eltern, dachte ich.

Schweigend reichte ich ihr die Zeitung. Sie las sehr langsam bis ihr Arm mit dem Fetzen Papier herabsank. "Irgendwo in mir habe ich es gewu§t!" Sie hatte verstanden. Es folgte ein unendlich schweres Schweigen. Nur das Ršcheln des Kranken kratzte an der fast absoluten Stille.

Sie bŸckte sich Ÿber ihn und zog die Decke hoher Ÿber seine Schul­ter. ã Er ist jetzt nur noch ein  alter, kranker Mann!" Als ob sie ihre Geste entschuldigen mŸsse. Ich wu§te nicht, wohin ich sehen sollte.

"Thomas?" Kostas erwachte aus seinem DŠmmerzustand. "Hand, bitte!" Er hauchte die Worte nur, aber die Stille der Nacht lie§ sie ver­nehmbar werden."Gib sie ihm!" Sagte sie, als sie mein Zšgern spŸrte. Weit von mir gestreckt, lie§ ich sie berŸhren. Er umklammerte sie mit er­staunlicher Kraft. "FŸrchterliche Schuld. Vergebt mit!" Ich legte ihm die andere Hand auf die Stirne. Mich bittet er um Vergebung? Absurd!. Wer bin denn ich, ein Urteil zu fŠllen oder gar zu vergeben? Meine Augen schwimmen in TrŠnen. Ich wandte mich ab.

"Thomas!" Ihre Stimme lie§ mir einen Schauer Ÿber den RŸcken laufen. Sie wies auf Kostas. Seine Augen waren gebrochen. Wie im Trance erhob sie sich, drŸckte ihm die Augen zu. Ganz sanft umschlo§ ich ihre Hand, und wie eine Schlafwandlerin fŸhrte ich sie aus dem Zimmer des Toten.

Als wir an meiner Pension vorbeikamen, klammerte sie sich an mich und Ÿbernahm die FŸhrung bis in mein Zimmer. Der Schock der letzten Stunden hatte mich betŠubt. Eng aneinander geschlungen versanken wir sofort in tiefen Schlaf. Ich erinnere mich, wie ich mit Erika im Arm, von diesem Planeten herunterfiel. Wir stŸrzten in die unerme§lichen Tiefen des Raumes, Lichtjahre entfernt von aller Materie, nur wir beide, fŸreinander, von der totalen Einsamkeit der Leere umgeben.

Ich wachte auf,  als die Sonne bereits hell durch das Gitterfenster schien. Man konnte in die grŸnen Wipfel einer Palme und einer Platane sehen, die, wie aus einem Stamm kommend, fast verwachsen an der seitlichen Hofmauer standen.

Erika erwachte. Die Sonne strahlte  auf unser Bett. Langsam im Zeitlupentempo, begannen wir unser Liebesspiel und steigerten es hin bis zu einer nicht enden wollenden Ekstase. Alle Tiefen und Hšhen spielten wir aus. Liebe und Ha§ und ZŠrtlichkeit und Wollust, das DŠmonische, Tierisches, Menschliches, Gewalt und Unterwerfung, Macht und Ohnmacht, die Verachtung, die Verherrlichung, die Sehn­sucht, die ErfŸllung, Erkennen und Verstehen, Hoffnung und Schmerz, Trauer und Freude, Leid und Lachen, Begierde und Rausch.

Wir lehrten unsere Kšrper diesen Morgen, die Sprache unserer Seelen auszudrŸcken, und wir lernten, da§, wenn sie die Chance und die Liebe haben, zwei Menschen fŸr gewisse Zeit diese Ÿber­winden und die Schatten der Vergangenheit vertreiben kšnnen.

Ierapetra ,Kreta