Kleiner Almanach unmöglicher
deutscher Wörter
1. Fortsetzung
kaputt (adj.)
Dieses Eigenschaftswort ist das schönste und
auch international bekannteste, ja das akzeptierteste
und ohne Vorbehalte anerkannteste deutsche
Wort. Denn bei keinem anderen deutschen
Wort stimmen Lautfolge und Bedeutung so vollkommen
und ideal überein, ja ergibt sich die
Bedeutung gleichsam von selbst ohne gedankliches
Zutun aus dieser wunderbaren und einmaligen
Konsonanten- und Vokalfolge: Nämlich des
einleitenden, harten, aus der Tiefe der Kehle,
also der Seele, heraufbrechenden „k-k-k“, des
danach herausströmenden, (nicht einfach nur
ausgehauchten), ent-lastenden, ent-leerenden,
ent-lüftenden „a-a-a“, gleich darauf wieder das
harte Zusammenpressen der Lippen unbedingt
erfordernde, harte (eben nicht weiche) „p-p-p“,
des überaus spitzmäuligen, ebenfalls von innen
herausquellenden, hinausdrängende, freundlichen
„u-u-u“, welches zwanglos und gleichzeitig
folgerichtig sich anschließt, und schließlich des
abschließend die ganze Kraft und Beweglichkeit
der Zunge (weil kräftig nach oben gegen den vorderen
Gaumen zu stemmen) erfordernden, die
Prozedur beendende und abrupt abbrechenden,
natürlich und selbstverständlich doppelten „t-t-t
t-t-t“. Welch eine grandiose Lautfolge! Welch ein
Schrei aus tiefster Seele! Welch ein Wort!!
Jeder Mensch zwischen Ushuaia und Ulan
Bator versteht die Bedeutung dieser Lautfolge
sofort, auch wenn er nie ein Wort Deutsch gelernt
hat, nämlich: „zerbrochen“, „zerrissen“, „zerstört“,
„verwüstet“, „vernichtet“, „zertrümmert“, „eingeschlagen“
, „zerschlagen“, „zermalmt“, “ruiniert“,
„demoliert“ „verheert“ „niedergewalzt“ „defekt“
„unbrauchbar“, „zerdeppert“ „zerschmettert“ „zertreten“
„nicht mehr funktionierend“ usw. usw.
Das Wort nimmt in der deutschen Sprache
nicht nur deswegen eine Sonderstellung ein, weil
es in seiner deutschen Fassung weltbekannt ist,
sondern weil es konsequenterweise wie kein
zweites deutsches Wort von vielen anderen
Sprachen übernommen wurde. Dass die
Engländer und Niederländer (um nur zwei
Beispiele zu nennen) es nicht richtig schreiben
(jene schreiben „kaput“, diese „kapot“ ), wenn sie
es aus dem Deutschen übernehmen, tut dem keinen
Abbruch. Andere Sprachen haben für den
gleichen Sachverhalt auch nicht entfernt ein so
schönes Wort: Ital: „rotto“ (immerhin, auch einprägend),
span.: „roto“, franz.: (sehr vornehm):
„fichu(e)“, neugriechisch: (unspektakulär und
viel zu lang): calasmenoz (bis das Wort
ausgesprochen ist, kann die Welt schon 3 x
kaputt gegangen sein).
Dabei hat „kaputt“ erst sehr spät im deutschen
Wortschatz Eingang gefunden. Die Gebrüder
Grimm kannten es noch nicht; in ihrem Wörterbuch
kommt es in der uns bekannten Form nicht
vor. Dort finden sich nur für den ähnlichen
Bedeutungszusammenhang die Begriffe „kapores
gehen“ oder „kapores sein“ für: zugrunde gehen,
verloren sein. Dies deutet auf eine der angeblichen
Quellen des Wortes hin. Das hebräische „kapará“
(Sühne, Sühneopfer) soll zu dem jiddischen „kapóre“
(f) und „kapóreß“ (Pl) geführt haben. 1 Im
Jiddischen meint „Eß is af kaporeß“: „Es taugt
nichts“ oder: „Es ist ein Durcheinander“ 2. Dieser
Herkunftsdeutung schließt sich auch derjenige
an, der den Begriff „kaputt“ als sehr deutsches
Wort recht eigentlich international bekannt
gemacht hat: Curzio Malaparte, jener intalienische
Condottiere aus dem 18. Jahrhundert, der den
2. Weltkrieg auf seine weltabgewandte, phantasiereiche
Art beäugte. In seinem 1944 im
zer-störten Neapel erschienen, berühmten und
in Deutschland misstrauisch aufgenommenen
Roman mit dem Titel „Kaputt“ erklärt der
Ich-Erzähler (natürlich Malaparte selbst) der
Prinzessin Luise von Preußen: „Sie kennen den
Ursprung des Wortes ‚kaputt‘? Es ist ein Wort,
das vom hebräischen ‚kapparoth‘ kommt, welches
Opfer bedeutet… Das Schicksal des deutschen
Volkes ist es, sich in ein Opfertier, in ein Kapparoth,
in ‚Kaputt‘ zu verwandeln. Auch Sie müssen wissen,
dass wir… alle bestimmt sind, eines Tages
zum Opfertier, zum Kapparoth zu werden, ‚kaputt‘
zu sein; daß wir deswegen Christen sind…“3. Die
Gedankenwindungen des Herrn Malaparte kann
man akzeptieren oder nicht. Wichtig ist hier: Das
Buch gehörte zu den „Welterfolgen der vierziger
Jahre“.4 So fand der Begriff im Zusammenhang mit
dem deutschen Greuel im zweiten Weltkrieg
Verbreitung. Ein gängiger Begriff damals in Europa
war: „Hitler kaputt.“
Andere wollen wissen, das Wort sei eine
Neubildung nach der Wendung „caput machen“
(ohne Stich) beim Kartenspiel nach dem französischen
faire capot 5. Den Nachweis dafür treten
diese aber nicht an.
Die älteren Leser werden sich noch an das
Lied von ‚Ton, Steine, Scherben‘ mit dem Titel
„Macht kaputt, was euch kaputt macht!“ erinnern.
Der Titel wurde zu einem der Slogans der 68iger
Bewegung.6
Mit dieser Bewegung starb auch der ins allgemein
Politsche und Soziale weisende Gebrauch
des Begriffes. Investmentbanker können heute
leider mit der Aufforderung „Macht kaputt, was
euch kaputt macht!“ nichts mehr anfangen, und
sei es auch nur, weil sie kein Deutsch mehr
verstehen. (Dieser Hinweis steht nicht im Widerspruch
zu der Eingangs getroffenen Feststellung,
jeder Mensch zwischen Ushuaia und Ulan Bator
verstehe das Wort. Investmentbanker leben
nämlich nicht zwischen Ushuaia und Ulan Bator
sondern in einer gänzlich anderen Welt, die
nicht von dieser ist.) Also weg mit dem Wort,
auch wenn es noch so schön ist!
1 Rosten, Leo, Jiddisch, Eine kleine Enzyklopädie,
München 2002, S, 290
2 Ebda
3 Curzio Malaparte, „Kaputt“, Roman, Wien, 2005,
S. 342/343
4 Müller, Lothar, Die Witterung des Hundes für
das Tier im Mensch, Nachwort vgl. Fn 3, S. 577
5 Kluge, Etymologisches Wörterbuch, 23. Auflage,
Berlin 1999, S. 426