ALEXEJ MOIR
Ist der Vers krank und der Dichter ein Autist, der unter dem Wortgewand an seinem geschlechtslosen Nichts herumhantiert? Ist die Schreiberzunft ein Bestattungsinstitut,in dem nach geschwätzigem Ritual eingeäschert oder gar einbalsamiert wird? Aber tot sollten sie schon sein, die bleichen Organspender, dann kann man sie mit donquijotischer Gebärde wiederbeleben, um mit der Aureole des Wunderheilers das neunlettrige L I T E R A T U R auf Messen und Bildschirm zu blasphemieren.
Wenn dann auf Lesungen - diesen illustren Verwesungsexzessen - der Maestro seine kindheitsgeschädigte Psyche dem Publikum um die Ohren schlägt, am besten in goutierbaren Fabulierhäppchen (ein fünfseitiges Konditionalsatzgefüge darf auch schon mal sein), wenn dann der Buchrausch an unserem Gedächtnis zehrt: in jede Hand das gute Buch, diese Spielwiese der nach Unsterblichkeit dürstenden Autoren - nein, verbrennen tut man diese wohlfeilen Bände nicht mehr, ersticken in der Flut immer neuer ist weit eleganter, wenn dann nachts um drei der Roman (i h n mußßß man gelesen haben, schrieb ER jüngst in der FUTZ) von der Bettdecke rutscht, dann ist man dabei, an der Tafel der Schöngeister, wo sie das Mahl zelebrieren: Günter Fußke, Peter Rasen, Christiane Hansmüller, Patrizia Müßlikind und wie sie alle heißen (man beachte den bescheidenen Beitrag zur Quotenregelung der Frau), wo sie das viande Proustienne mit dem Florett tranchieren und die potage à maculature kalt servieren (nichts wird so heiß gegessen wie es geschrieben ist).
Nur das Huhn à la Seichtverschmitzki harrt seiner Bestimmung in einem abhörsicheren Tresor: Daß das gerupfte und pensionierte Tier mit seinem Kritikaster-Gegacker ja nicht die Tafelrunde erschrecke!
Zu trinken gibts - pardon - Apollinaris, ein Tribut an die zahllosen Magengeschwüre, klar, wenn man über Jahre pünktlich zum Herbst sein brandneues Plagiat gebiert: Hektik im Frankfurter Kreißsaal. Mit geschwollenem Kamm, die abgerissene Nabelschnur in der Hand, zerren Verleger und Lektoren das winzige Monster in den Brutkasten: eine Saison hinter Glas, dann in den Müll! Die Literatur ist wohlauf, Mutter und Kind sind krepiert.
Doch es gibt ja noch uns. Uns Dilettanten, TORSOlanten, Schönschreibaspiranten und Vaganten, die Wir, mit dem Bauchladen durch die Lande stapfend, unsere Textetten in den Wind schreien: ein einziger scheelsüchtiger Sphärengesang..... Wenn unsere übervollen Schubladen, zum geistigen Matterhom getürmt, die Literatur zu lichten Höhen zerren (im Mehltau zu Berge wir zieh'n fallera) ... Wenn wir herfallen über Eingemachtes, ewig Wahres, ewig Gestriges - Mahlzeit!
Man lächelt. Man plaudert aneinander vorbei. Hunger ist nur der Vorwand, um sich gegenseitig zum Rülpsen zu bringen.
Von der Tafel dann auf den Abort des Schreibens. Aber ja nicht ziehen, sonst ist alles unwiederbringlich hin! Schüchtern lugt Fußkes junger Held, der Hermaphrodit Balthasar, über den Schüsselrand. Balthasar leidet an seiner Zeit. Durch Neurosen, Psychosen und Glykosen tappt er sich in endlosen Lamentos an sein Karma heran (Indienfahrer und Jurastudent). Seine Zweifel sind unsere Zweifel. Dann, eines Abends bei Polenta und Buttermilch, erkennt er, daß das Meer blau und die Literatur schön ist. Damit hält er den Schlüssel zu den brennenden Fragen seiner Generation in der Hand.
Den nur noch resolut ins Schloß stecken (im achten Kapitel ist es so weit), zwei Kapitel lang umdrehen - das Knirschen bringt den Autor zu einer atemberaubend neuen Musiktheorie mit dem Titel "Die Quadratur der Klaviatur" oder "Ohne Uhr zur Kur" (noch bezahlt's ja die Kasse), dann bricht gottseidank der Schlüssel ab, und die Probleme nicht nur unserer Generation, also auch die Notwendigkeit von Literatur, bleiben uns erhalten.
Nur ein winziger Tropfen Öl hätte den Dichter um seine Existenz gebracht. So aber mag er aufatmen und sich zu neuen Werken durchknirschen.
Ist der Vers also krank und der Dichter ein unschlüssiger Kerkermeister, der um seine Stellung bangt?
Hinter verschlossenen Türen lebt es sich gut. Dreimal pro Tag eine Mahlzeit. Sonntags Schokolade. Bücher gibt's auch. Und vielleicht eine klitzekleine Prise Strichnin.