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Das rote Bonbon
Früher rauchte unser Vater einen tränentreibenden Tabak. Mutter stieg er in die Augen,
und wir Kinder mußten husten.
Wir heizten damals noch mit Kohle. Aus unserem Ofen wuchs ein langes Rohr mit
runder Luke, das in der Wand verschwand. Es war silbern und schickte das feinste Licht
in unsere abendliche Stube, wenn wir still beisammensitzend auf Vater warteten. Die
runde Luke war immer verschlossen, und wir wußten nicht, wozu sie diente. Vater
versuchte immer wieder, sich das Rauchen abzugewöhnen.
„Du mußt Bonbons lutschen, wenn du's nicht aushälst", riet ihm Mutter. Und Vater
bekam viele Bonbons. Wir hingegen bekamen nur ab und zu mal eines von Mutter
zugesteckt.
Wenn Vater abends in seinem Sessel saß und es dann über ihn kam, rutschte er
unruhig auf dem Sitz herum, wartete auf ein unsichtbares Kommmando, sprang dann los
in die Speisekammer, reichte bequem an die hoch oben versteckte Bonbondose und
ließ das süße Stück in seinem süchtigen Mund verschwinden.
Genüßlich lutschend versank er in seinem Sessel, war gut gelaunt, spielte sogar mit
uns, bis er wieder unruhig wurde, als erstes Anzeichen für den nahe bevorstehenden
Anfall ein unsichtbares Bonbon in seinem Mund mümmelte und dann losbrach Richtung
Speisekammer.
Eines Tages klagte Vater über einen dicken Pickel auf seiner Zunge. ,,Sag mal aah",
bat Mutter, und Vater streckte ihr gehorsam die Zunge entgegen. Da war ein Bonbon in
seine Zunge gewachsen. Das glühte rot und tat ihm furchtbar weh.
Seitdem rauchte Vater wieder. Aber Mutter und uns Kindern zuliebe stellte er sich von
nun an immer auf den Sessel, der dicht beim Ofen stand, trat so lange die federnden
Polster nieder, bis er einigermaßen Stand hatte, öffnete die runde Luke und blies den
Rauch spitzlippig in das Ofenrohr. ,