TORSO - INTERVIEW
INGO SCHRAMM
WERKSTATTGESPRÄCH
TORSO Ingo Schramm, nach anderthalb Jahren Arbeit ist vor kurzem "Die Feigheit der Fische" erschienen. Die Sprache Ihres vierten Romans in Folge ist im Vergleich zu "Fitchers Blau" (1996) oder Ihren ersten beiden Publikationen in TORSO (1992 und 1994) wenig experimentell und unprätentiös.
SCHRAMM Ich stehe natürlich zu meinen alten Texten. Aber inzwischen hat sich die Welt verändert, habe auch ich mich entwickelt. Zudem ist es wenig befriedigend, stets die selbe Methode zu verfolgen. Meine frühere Schreibweise in der Tradition der klassischen Moderne erscheint mir für die heutige Zeit nicht mehr angemessen - wie auch immer man diese heutige Zeit benennen will; mir behagt da der Begriff der 'Zweiten Moderne' noch am ehesten. Um uns verändert sich sehr viel. Wir erleben einen Wertewandel. Die Nachkriegszeit ist abgeschlossen. Ohne dabei die Moderne und Literatur des 20. Jahrhunderts verleugnen zu wollen: Eine erfrischte, neue Form des Erzählens, wie sie jetzt auch von vielen jüngeren Autoren bevorzugt wird, erscheint als angemessen.
TORSO Gibt es Ereignisse, bei denen Ihnen der Sinn Ihres Haltungswechsels besonders klar wurde?
SCHRAMM Letztes Jahr, also während der Arbeit an meinem aktuellen Roman, nahm ich an einer von der Konrad-Adenauer-Stiftung in Cadenabbia veranstalteten Autorenwerkstatt teil. Passend zur Landschaft um den Comer See wurde auf der Werkstatt der Geist des Erhabenen beschworen. Ich hatte das bedrückende Gefühl, mit einer Zeitmaschine zum Beginn des vorigen, des 20. Jahrhunderts zurückgebeamt worden zu sein. Damals wäre das alles durchaus als Avantgarde durchgegangen (Marinetti erschoss sich dann 1944 unweit, in Bellaggio; ich besuchte das Hotel). Die Reaktion auf den von mir vorgelesenen Romananfang war blankes Entsetzen. >Das Filmmilieu des 1.Kapitels sah man wohl als das von Popteufeln an. Jochen Hieber von der FAZ konstatierte, die ‚Niedrigkeit des Gegenstands‘ verleite zu einer ‚niedrigen Sprache‘. Ich verwahrte mich gegen derartige Arroganz und war froh, als ich bald darauf wieder in die Gegenwart zurückkehren durfte.
TORSO Glauben Sie, dass Ihnen die Kritiker mangelnde Sorgfalt beim Ausarbeiten der Sprache vorwerfen werden?
SCHRAMM Das Gegenteil ist der Fall. Viel Mühe habe ich darauf verwendet, die Sprache als solche in den Hintergrund treten zu lassen und den Fokus ganz und gar auf die Handlungen und Geschehnisse zu richten, die mit ihr beschrieben werden. Deswegen ist die Sprache bewusst einfach und unprätentiös gestaltet.
TORSO Aber haben Sie nicht auch von Elfriede Jelinek gelernt? Das schreiben Sie in Ihrer Internetseite (www.ingoschramm.de; d. Red.). Frau Jelinek arbeitet doch nach wie vor in der von Ihnen verlassenen sprachlichen Tradition.
SCHRAMM Der Bezug auf Elfriede Jelinek trifft auf meine früheren Bücher zu, speziell auf das erste. Damals war ich noch sehr von meiner Jelinek-Lektüre beeinflusst.
TORSO Im vorliegenden Buch gucken die Leser Ihren Helden oft bei eigentlich ganz unspannenden Alltäglichkeiten zu. So bei Medienkonsum und -wahrnehmung. Ihr Leitmotiv dabei scheint der Film zu sein.
SCHRAMM < Der Film ist das künstlerische Leitmedium unserer Zeit. Sei es in Kino und Fernsehen oder auch im Internet: Unsere Wahrnehmung ist von bewegten Bildern geprägt. Selbst wenn wir über die Straße laufen, sehen wir alles mit Filmaugen.
TORSO Da gibt es noch etwas, das im Vergleich mit Ihren bisherigen Büchern auffällt: Acht unterschiedliche, jeweils kapitelweise wechselnde Erzählstimmen. Sie berufen sich an anderer Stelle auf Wolfgang Koeppen oder William Faulkner.
SCHRAMM Es gibt hier eben kein solipsistisches Ich, sondern mehrere gleichberechtigte Perspektiven. Die Splitter des Romans sind auf verschiedene Figuren verteilt. Während Faulkner mit inneren Monologen arbeitet, gibt es bei mir echte Erzählungen, im Sinne einer direkten Figurenäußerung. Seitens der jeweiligen Figur ist da immer etwas Spiel und Täuschung mit dabei. Damit betone ich das äußere Handeln der Personen, statt sie zu psychologisieren.
TORSO Aufgewachsen sind Sie in der ehemaligen DDR. Dort haben Sie als Buchhändler am Berliner Alexanderplatz gearbeitet, bis Sie kurz nach dem Mauerfall freier Schriftsteller wurden. Mauerfall und ehemalige DDR bilden in den ersten drei Romanen eine Art Folie, ganz besonders in 'Fitchers Blau'. Warum fehlt diese Gewohnheit in 'Die Feigheit der Fische'?
SCHRAMM Nach drei Romanen ist dieses Thema, das jetzt ein Jahrzehnt zurückliegt, für mich erst einmal erledigt. Seit der sogenannten 'Wende' hat sich viel ereignet, so im letzten Jahr die erste militärische Auseinandersetzung Deutschlands seit dem Zweiten Weltkrieg. Das war eine eindeutige Zäsur. Ich kann nicht in der Vergangenheit steckenbleiben. Der vielbeschworene Ost-West-Konflikt spielt für mich keine besondere Rolle. Ich sehe mich als Schriftsteller, der in seiner Zeit lebt und seine Zeit mit wachen Augen wahrnehmen will.
TORSO Vielleicht auch in diesem Zusammenhang benutzen Sie für Ihr Konzept den Begriff 'Reality Fiction'.
SCHRAMM Man begibt sich auf Glatteis, wenn man aktuelle politische Themen wählt und gleichzeitig versucht, literarisch zu bleiben. Auch wenn es nur ein politisches Seitenthema ist wie in 'Feigheit der Fische'. Als Ausweg ist Reality Fiction eine Dichtung, die ihren Grund in der Realität hat. Die dichterische Erfindung wird dabei eingebettet in die konkrete Welt, wie wir sie persönlich oder über die Medien erleben. Gleichzeitig wird sie aus dieser entwickelt. Und zwar möglichst so, dass alle fiktionalen Geschehnisse auch in der wirklichen Welt ohne weiteres denkbar sind.
TORSO Dann muss Reality Fiction auch Bestandteil Ihres Sprachkonzepts sein.
SCHRAMM Wenn man dieses Konzept verfolgt, dann ergibt sich die Sprache von selbst. Ich versuche sie aus dem Zentrum eines Buches heraus zu entwickeln. Auch deshalb gibt es die stilistischen Unterschiede meiner Romane. Gemessen am Themenkreis von 'Die Feigheit der Fische' bedingt dies eine trockene, mit wenig poetischem Firlefanz aufgeladene Sprache.
Das Interview mit Ingo Schramm führte Mark Tanner
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