Hausarrest
Im Radio lief schon wieder Suzi Quattro. Frank drehte weiter. Auf dem anderen Sender lief Deep Purple. Seine Mutter steckte den Kopf durch die Zimmertür und sagte: "Ich gehe jetzt." Er blickte ihr nach, wie sie die Treppe hinunterstieg. Der Beutel aus türkisblauem Dederon pendelte an ihrem Handgelenk und schlug gegen die gedrechselten Baluster.
Im Radio kam ein Wortbeitrag. Auch auf dem anderen Sender wurde geredet. Er drehte hin und her. Schlager, Geigen, Blaskapellen intonierten Marschmusik. Bevor er das Radio ausschaltete, hörte er das Wort "Übererfüllung".
Aus dem Schrank holte er die Levis, zog seine braune Stoffhose aus und stieg in die Jeans. Vor dem Spiegel fand er, dass sie nicht eng genug war. Er holte den Kamm aus dem Bad, steckte ihn in die rechte Hintertasche. Der hellgrüne Plastikgriff lugte fingerlang hervor. Es war vier nach sechs.
In der Hofpause hatten sie es abgemacht. Er war mit Beate zum Rauchen in den grünen Hausflur gegangen. Am Hofzaun hatte Frank Schulte und den Golz aus der B mit je einer Filterlosen bestochen. Golz trug seine Armbinde mit einer Sicherheitsnadel an den Hemdärmel geheftet, Schulte hatte seine in die Hosentasche gesteckt.
Im grünen Hausflur roch es nach Fisch. Frank hatte Beate geküsst und ihr eine Zigarette angezündet. Sie rauchte Lunge, ohne zu husten. Er beschrieb die Situation: "Gabriele ist die Woche über in Dresden. Sie kommt wahrscheinlich nicht mal am Wochenende. Ist immer seltener, dass sie kommt. Gerald ist ohnehin weg vom Fenster. Gestern kann der Brief: vier Wochen Urlaubssperre. Meine Mutter muss für zwei Tage auf Dienstreise. Heute Abend fährt sie los. Sie hat mir erzählt, warum, aber was geht mich das an."
"Die Asche fällt schon."
Er klopfte ab, zog und blies eine viel zu große Wolke ins Zwielicht. "Am Sonntag war mein Vater da. Es dauert mindestens ein Jahr, bis er sich wieder sehen lässt."
"Liebst du mich?", fragte sie.
Er kniff die Augen zusammen, nickte, zog an der Zigarette, nickte noch einmal. Sie warf ihre auf den Boden, trat die Glut aus und drehte sich von ihm weg.
"Wenn du mich nicht liebst, dann komme ich nicht", sagte sie.
Er fasste sie an den Händen, damit sie die Arne nicht verschränken konnte. Frank zitterte. Das ist wegen der Kälte, sagte er sich, sie zitterte auch.
"Ich liebe Dich für immer", sagte Beate.
INGO SCHRAMM
Es war zehn nach sechs und sie blieb weg, damit hatte Frank gerechnet. Vor halb sieben würde sich nicht da sein. Er ging in die Stube, holte die blaue Wäsche aus dem Kleiderschrank, ging dann in sein Zimmer und bezog das Bett. Die alte Wäsche legte er zusammen und schob sie unter den Tisch. Auf dem Sprelacart lag das Hausaufgabenheft und das Biobuch. Er räumte alles fort und stellte das Bild von Deep Purple so hin, dass es vom Bett aus zu sehen war. Mit einem Tuch wischte er den Rahmen und das Glas sauber.
Einige Minuten stand er unschlüssig, sah dann in der Küche, dass es gleich halb sieben war. Mit dem Kamm ordnete er sich die Haare, probierte den Scheitel rechts, zog ihn gleich darauf wieder in der Mitte. Er öffnete die Wohnungstür einen spaltbreit und lauschte. Vom Hof war Lachen zu hören. Zehn nach halb legte er sich auf das Bett und starrte an die Decke. Er drehte den Kopf, roch am Kissen. Wie würde es nachher riechen?
Als Frank wieder aufwachte, war es bereits dunkel. Sein Herz raste. Einen Moment lang bekam er keine Luft. Draußen merkte er, dass er seinen Schal vergessen hatte. Eine Straßenbahn war nirgends zu sehen. "Die kann was erleben." Vom Nieselregen bekam er ein nasses Gesicht, sah sich auf den Bezügen liegen, hörte den Türgong, immer wieder den Türgong und ein Seufzen wie aus unendlicher Entfernung.
Am Klingelbrett fand sein Finger den richtigen Knopf sofort. Er drückte zweimal, stieß mit dem Fuß gegen die Haustür, die ein paar Zentimeter aufschwenkte. Frank betrat das Treppenhaus, ging dann wieder zurück und klingelte noch einmal. Im Lautsprecher war ein Knacken zu hören.
"Ja?" Es war ihre Mutter.
"Ist Beate da?"
"Wer will das wissen?"
"Ich bin's, Frank."
"Welcher Frank?"
"Frank aus der Zehnten."
"Was willst du von Beate?"
"Wegen der Nachhilfe. Es ist wegen Mathe." Er wusste nicht, wie gut Beate in Mathematik war.
"Warum aus der Zehnten?"
"Das ist jetzt so. Wir müssen ihnen helfen. Es ist wegen der außerschulischen Aktivität."
In der Wohnung roch es nach Essen und Spiritus. Beates Mutter war kleiner als Frank, schaffte es trotzdem, ihn von oben herab zu mustern. Rechts war eine Kommode, die fast vollständig unter Einweckringen aus Gummi, Handtüchern und Socken verschwand. Auf der Erde stand eine offene Tüte mit Sägespänen. Davor lagen Wäscheklammern aus Holz.
"Beate"; rief die Mutter und wischte sich eine Haarsträhne aus der Stirn. Sie hatte einen Schatten auf der Wange, glaubte Frank zu erkennen. "Beate, verdammt!"
Die Tür ging auf. Sie hielt sich am Rahmen fest und sagte kein Wort, weder zu ihm noch zu ihrer Mutter. Ihre Füße steckten in Pantoffeln aus blauem Kunstleder. Die Bluse war zerknittert.
"Was ist mit Mathe?" fragte die Mutter, hob die Hand, ließ sie aber gleich wieder sinken.
"Mathe?", fragte Beate. Ihre Stimme klang müde. Im Gesicht sah sie fahl aus. Frank klickte höher, drehte den Kopf weg und verkniff sich ein Lachen.
INGO SCHRAMM
"Ich bin wegen der Nachhilfe hier", sagte Frank. "Es ist eigentlich keine Nachhilfe, Frau Kiesler, sondern mehr eine Förderung. Deswegen auch, dass ich von der Zehnten geschickt werde."
"Sie ist wohl ein Genie?", fragte die Mutter.
"Komm rein", sagte Beate.
In ihrem Zimmer hockte er sich zu dem Meerschweinchen, das regungslos in seiner Box saß. Die Glaswände waren von innen verschmiert, im Spreu lagen Kotbällchen und Möhrenstücke. Frank stand auf, wollte küssen. Sie drehte den Kopf weg und sagte: "Nicht."
"Ich verzeihe dir." Frank fasste sie am Kinn, blickte ihr von oben in die Augen, die allmählich zu schwimmen begannen.
"Du bist blöd", sagte sie leise.
Das Meerschweinchen lief hin und her, quiekte. Beate stand auf, hob es aus seiner Box und streichelte das Fell. "Mein Fridolin!" Stoisch ließ das Tier die Liebkosung über sich ergehen.
"Er hat mir Stubenarrest gegeben", sagte sie, setzte Fridolin auf die Erde. Das Tier verharrte einen Moment, lief dann schnell zum Regal und kletterte auf einen blauen Karton.
"Was hast du angestellt?"
"Zwanzig Mark hat das gekostet." Sie schaute ihn groß an und ballte die Fäuste. Wieder musste er sich das Lachen verkneifen, als er ihre neue Frisur betrachtete. Die Haare waren kürzer geschnitten und auftoupiert. Wie ein Mopp, dachte er und sagte: "Ist doch egal."
"Aber er kapiert's einfach nicht."
"Ich hab natürlich die ganze Zeit gewartet."
"Zwei Wochen hab ich bekommen."
Fridolin scharrte.
"Mama hat ihn angeschrien, bis er drei Wochen draus gemacht hat."
"Ich liebe dich trotzdem."
Frank umarmte Beate. Sie lehnte ihren Kopf gegen seine Brust und schloss die Augen. Er roch sie, blickte an ihrem Rücken hinunter, sah die leere Box mit den Möhrenstücken und roch schmutzige Streu. Langsam beugte er sich zurück, versuchte sie zu heben. Beate verlor einen Pantoffel. Fridolin lief darauf zu und kletterte hinein. Frank strauchelte, fiel ohne loszulassen auf das Bett, über dem eine gelbe Decke lag. Durch die Tür hörten sie die Mutter schimpfen. Beate schob sich ein Stück an ihm herauf und leckte seine Nase.
"Bist du mein Hund?", fragte er.
Sie knurrte.
Irgendwo in der Wohnung klirrte Glas. Wieder war das Schimpfen der Mutter zu hören, leise, lauter und näher, dann leise.
"Was hat er jetzt wieder?"
"Der ist doof", sagte Frank.
"Red' nicht so von meinem Vater!"
Die Tür wurde aufgerissen.
"Jetzt sieh dir die beiden an!" Die Mutter schlug mit dem Handtuch, traf aber nur die Bettkante. "Dein Vater bringt sich um, und du steigst mit dem da ins Bett!" Zwei Schritte, und sie war heran, zog Beate an den Haaren hoch, gab Frank eine Ohrfeige. "Wo ist denn das Mathebuch?" Er schützte das Gesicht mit den Armen, aber die Mutter setzte sich aufs Bett und verzog das Gesicht. Ihr Kinn zitterte, die Augen waren klein und rot. Es flossen keine Tränen. Beate lief aus dem Zimmer.
INGO SCHRAMM
Frank folgte ihr. Die Glastür zur Stube stand offen. Das Deckenlicht war ausgeschaltet, nur eine Stehlampe mit grünem Schirm spendete Licht. Der Fernseher lief, "Bonanza", der Ton war stumm gestellt. Erst sah Frank niemanden, bis er Beates Rücken zwischen Tisch und Couch entdeckte. Unschlüssig drehte er sich ein paar Mal, ging dann die paar Schritte näher, wobei er Postkarten ausweichen musste, die auf dem Boden verstreut waren.
Ihr Vater lag auf der Erde, sein Kopf ruhte in ihrer rechten Hand über einer gelben Waschschüssel. Frank sah, wie Beate dem Mann, der noch keine grauen Haare hatte, ihren linken Zeigefinger in den Hals steckte. Er hörte das Röcheln, sah den Vater sich in die Hand seiner Tochter schmiegen. Gleichzeitig wich er ihrem Zeigefinger aus, bis sein Hinterkopf gegen die Couch stieß. Brutal stach Beate zu. Der Vater bäumte sich auf, hockte dann über der Schüssel und erbrach hellrote Flüssigkeit. Es roch nach Schnaps und Magensäure. Der Vater hatte kein Hemd an, winzige Haare auf den Schultern. Beate wischte sich mit dem Ärmel ihrer Bluse Spritzer vom Kinn und stand auf.
"Du musst anrufen"; sagte sie zu Frank.
"Ich?"
"Es sind wieder Tabletten, du musst zur Telefonzelle." Sie drängte in Richtung Tür. Er staunte, wie eiskalt ihr Blick war.
Draußen nieselte es noch immer. In der ersten Telefonzelle war der Hörer abgeschnitten. Er ging weiter, begann zu rennen, irrte durch die Straßen, kam immer wieder an Beates Plattenbau vorbei. Niemand war unterwegs. In der nächsten Telefonzelle stellte Frank fest, dass er kein Zwanzig-Pfennig-Stück hatte. Er lief zurück, hämmerte mit Fäusten gegen die Wohnungstür der Kieslers.
Die Mutter ließ ihn herein.
"Ich habe ...", keuchte er. Alles ... kaputt." Ihm war, als müsste er heulen. Wieder sah er Beates kalten Blick. Er sah ihr fahles, unbewegtes Gesicht, die eigenwilligen Haare. Diesmal musste er nicht lachen. Sie verschwand im Bad.
Seine Augen suchten "Bonanza", aber der Fernseher war ausgeschaltet. Der Vater lag auf der Couch, war mit der Decke von Beates Bett zugedeckt. Sie kam, kniete sich zu ihm, wischte mit einem feuchten Waschlappen sein Gesicht sauber. Auf dem Tisch stand eine Thermoskanne und eine Kaffeetasse mit abgeschabtem Goldrand.
"Kann er jetzt trinken?", fragte die Mutter.
"Noch nicht", sagte Beate. Sie wischte dem Vater die Stirn, die Augen.
"Ich brauch bloß Telefongeld", sagte Frank.
Beate schüttelte langsam in seine Richtung den Kopf.
"Jetzt", sagte sie zu ihrer Mutter. Die schraubte eilig die Kanne auf, goss dampfende Flüssigkeit in die Tasse, während Beate ihrem Vater den Kopf stützte. Mit zwei Fingern nahm sie der Mutter die Tasse ab, flößte ihm etwas ein, wischte das Ausgesabberte weg und tränkte ihn wieder. Frank sammelte die Ansichtskarten auf.
INGO SCHRAMM
Später saßen sie alle um den Tisch und schauten den Vater zu, wie er weinte. Frank suchte Beates Blick. Ihre Augen waren leer und ausgehöhlt. Wieder glaubte er, bei der Mutter einen Schatten zu bemerken, der jetzt auf der Stirn lag.
"Wie heißt er?" fragte sie.
"Frank", sagte Beate.
Verlegen blätterte er die Postkarten durch. Es waren felsige Küsten, Zedern, Parkplätze voller Autos, Palmen, Villen mit Pool, Hotelanlagen, Berge, von denen rotes Spätlicht widerschien, immer wieder Meer.
"Er hat sie", sagte der Vater flennend, streckte seine klobige Hand nach den Karten aus. Frank gab ihm alle.
Das Wimmern wurde leiser. Die Mutter verdrehte die Augen, nahm die Tasse, blickte hinein, stellte sie auf den Tisch. Frank hob den Kopf, um den Tassengrund zu sehen, erkannte einen braunen Rest, in dem grobe Kaffeekrümel schwammen. Er nickte, es hatte keinen Sinn.
"Du denkst an mich", sagte der Vater und griff Frank am Oberarm. Ihre Augen begegneten einander, beide hielten es nicht aus. "Das vergesse ich dir nie, Junge. Sie schimpfen mit mir. Es ist immer dasselbe. Beate macht, was sie will. Als ob ich es leicht hätte." Er zählte die Postkarten, kam zu einem falschen Ergebnis, legte den Stapel auf den Tisch und zählte dann noch einmal. "Immer wieder, aber verdienen soll ich's."
Mit der Hand wischte er sich übers Gesicht und die dann an der Decke trocken. "Wofür, wofür, dabei ist das doch klar, Zukunft und alles. Trotzdem die Frage. Das verstehe, wer will." Ein Weinkrampf schüttelte den Vater.
Nach einer Minute beruhigte er sich wieder. "Den eigenen Leuten ist man vollständig egal; aber vollständig! Wozu hat man sich die angeschafft? Sie reden mir dazwischen, hörst du?" Er legte eine Pause ein. "Hörst du? Das ist alles Bosheit." Eine Faust wurde geballt, die Decke geschlagen oder das Bein darunter. "Immer wieder verbrenne ich mir die Finger. Es sind die Öfen, aber damit ist es nicht genug. Das reicht ihnen nicht. Sie wollen mehr und mehr und mehr und verdienen soll ich's." Er hustete. "Womit hab ich das verdient?"
Frank musste kichern. Der Vater blickte sich um und flüsterte: "Du?" Dann schüttelte er den Kopf, lachte, stand auf, lief zur Schrankwand, zog hinter leeren Vasen einen Band zwischen den paar Büchern heraus. Er drehte sich um, trat einen Schritt zur Seite, begann zu humpeln, stützte sich mit der Hand selbst das Rückgrat. "Hier"; sagte der Vater und hielt Frank das Buch hin. Er nahm es ihm ab. Geruch von Staub und altem Papier stieg ihm in die Nase. Der Vater legte sich wieder hin, zog stöhnend die Decke bis ans Kinn.
Das Buch hatte keinen Schutzumschlag, der Einband war aus Pappe und mit kaum mehr sichtbaren, schwarzgelben Rauten verziert. Ähren waren zu erkennen. Frank drehte es, der Geruch wurde stärker. Der Rücken was aus gefärbtem Leinen und hatte in der Mitte einen Knick.
"Das sind mindestens zehn Zentimeter", sagte Frank, nachdem er mit Daumen und Zeigefinger die Dicke geprüft hatte.
"Es sind sieben", berichtigte der Vater, "exakt sieben Zentimeter. Sie wissen es nicht zu schätzen."
INGO SCHRAMM
Der dreckige Geruch der stark vergilbten Seiten ekelte ihn. Um ihm den gefallen zu tun, schlug Frank das Buch auf. Beate blickte aus dem Fenster, die Mutter kratzte sich an der Nase.
"Das ist altdeutsche Schrift", mokierte Frank.
"Von meinem Vater. Er hat es zum Hochzeitstag bekommen, zum zehnten, glaub ich, von meiner Mutter. Sieh vorne nach!"
Mit schwarzer Tinte hatte irgendwer eine kaum leserliche Widmung eingetragen. "5.7.43", las Frank vor.
"Er starb ein Jahr später. Das war schon immer so." Im Flur fiel etwas krachend zu Boden. "Soll und Haben, verstehst du?"
"Ich muss gehen", sagte Frank. Beate riss den Kopf herum.
"Du sollst es mitnehmen", entschied der Vater zufrieden.
"Es ist wegen der Zeit", sagte Frank. auf der rechten Handfläche wog er das Buch. Schwer war es nicht. Als er aufstand, glaubte er, von Beate ein Ächzen zu hören, hielt das für eine Täuschung. Die Mutter brachte ihn zur Tür.
"Sei ehrlich"; verlangte sie, "Beate bekommt eine Fünf am Jahresende."
"Nein"; sagte Frank.
"Sie wird sitzen bleiben, ich weiß es."
"Nein."
"Du hast ihn doch erlebt."
Vor der Haustür blieb Frank stehen. Das Nieseln hörte nicht auf. Rechts war der Müllcontainer. Wenn es wenigstens richtig regnen würde, dachte Frank, dann könnte ich sagen, es ist durchgeweicht. Hinter sich hörte er die Tür gehen.
"Frank!" Beates Stimme klang verändert. "Frank!"
Sie stand vor ihm, die Hände in die Hosentasche gesteckt, die Schultern zusammengezogen. Ihre Frisur verlor im Nieselregen an Form. Ein Fuß steckte im Pantoffel. Die weiße Socke am anderen wurde dunkel auf dem feuchten Boden.
"Du holst dir den Rest", sagte Frank, nahm seinen Kamm und zog ihn sich langsam durch die Haare.
"Fridolin. Ich wollte ihn nicht vertreiben. Er muss dann doch wieder zurück."
Ein Mann, der eine dunkle Schirmmütze trug, drängelte an den beiden vorbei und verschwand im Haus. Beate machte einen Schritt auf Frank zu. Ihre Nase glänzte. Sie streckte die Hand aus: "Ich hab gesagt, du hast den Füller liegen lassen." Er kämmte weiter.
"Du musst mir glauben", sagte sie, "dass ich dich liebe." Noch ein Schritt, sie legte ihre Arme um ihn und zog sich an ihn heran. Er hielt den Kamm und das Buch, sah ihre Stirn vor seinen Augen. Ein Beben durchlief sie. Das Wetter, sagte er sich, obwohl er es besser wusste. Sie legte den Kopf ein wenig zurück. Es war, als würde sie etwas sehen, das größer war als er.
"Versprich mir", sagte sie leise, "versprich mir, dass du mich nie verlässt."
Frank steckte den Kamm zurück.
"Du musst es mir versprechen, nur das. Ich verlange nichts."
"Ja", sagte er und schämte sich.
In seinem Zimmer zog er die frische Wäsche vom Bett, legte sie zusammen und zurück in Mutters Schrank. Es wurde Mitternacht. Er öffnete das Fenster, blickte auf die Straße hinunter, in den Himmel.
Ohne sich auszuziehen stieg er ins unbezogene Bett, sah das Bild von Deep Purple. Es war eben ein Bild. Die Lampe am Tisch ließ er brennen. Immerhin, dachte er, fünf Wochen. Das Freytag-Buch lag daneben. Es waren bald fünf Wochen, dass er mit ihr ging. Was sollte also dabei sein, wenn es jetzt so gekommen war.