Ann Catrin Apstein-Müller

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NOTAMERICA

Ein Truck biegt von der staubigen Landstraße in einen Ort ein an einer Kleinstadt an Autosalons mit pinkfarbenen Cadillacs vorbei und McDonalds und Chevys und Fords am Straßenrand Einfamilienhäuser großzügig gebaut in einer Reihe mit großen Vorgärten, in denen Nachbarn zusammen Barbecues veranstalten Kinder spielen Baseball und fahren Fahrrad auf den Bürgersteigen. Der Himmel ist leicht bewölkt, es ist warm, fast schwül. Der Besitzer des Drugstores steht vor der Tür und sieht besorgt zum HimmeL Der Truck hält vor der Tankstelle der Fahrer steigt aus man hörtaus der geöffneten Tür this is not America ist es oder ist es nicht ich weiß es nicht.
   Die Schwingen des Adlers graufahles Mondlicht und der Alte singt nicht mehr. Etwas muss
ausgefallen sein heute nacht. Wahrscheinlich ist eine Sicherung durchgebrannt. Und wenn der schwarze Todesreigen in den Flusstälern kein Ende findet, werden wir zum letzten Gefecht antreten müssen. Es war eine Wiese dort gewesen, bunt getupft, ein göttliches impressionistisches Gemälde von Äolus sanft getrocknet von Hel zu strahlendem Glanz erhoben von Ares in ein Schlachtfeld verwandelt von Thanatos begraben unter einem gewaltigen Ascheregen. Die Sommer von einst sind nur noch Beobachtungen durch eine Panzerglasscheibe stumm und gefühlsneutral wie alte 16mm-Filme verstaubt in einer hinteren Ecke des Schrankes sagen sie nichts mehr über mich nichts mehr über dich leere bunte Bilderhüllen ohne Füllung ohne Leben. Worte einzeln hervorgezogen aus den Tiefen der Wühlkiste voller verschütteter Erinnerungsreliquien zusammenhanglos mit beliebiger Bedeutung füllbar bin nicht mehr sicher was sie damals bedeuteten heute sind sie universell verwendbar.
   Irgendwo dahinten hinter dem leicht bewölkten Horizont liegt der Hügel mit der Mauer an der sie mich erschießen werden morgen bei Sonnenaufgang weil ich geliebt habe weil ich immer noch liebe weil ich dich liebe. Sie werden mich dorthin führen in Ketten zwei Männer mit harten unbewegten Gesichtern einer auf jeder Seite und der Richter und der Pfarrer und ein Arzt und sie werden schweigen während sie mich dorthin führen und auch ich werde schweigen nicht jammern nicht bedauern nicht bereuen einfach schweigen ruhig und stolz und sicher in der Gewissheit das Richtige getan zu haben auch wenn sie sagen es war falsch auch wenn sie Autorität haben in diesem Land für mich haben sie keine this is not America.
   Sie haben Imbissbuden dort oben und einen Kinderspielplatz es wird ein Volksfest werden.
Volksfeste habe ich nie gemocht als Kind zu laut zu eng Zuckerwatte und Bauchweh aber ich
musste Spaß haben·deswegen sind sie ja extra mit mir hingegangen diesmal wird es auch laut sein aber nicht eng für mich denn wer will mir schon zu nahe kommen und statt Zuckerwatte eine letzte Zigarette und kein Bauchweh oder vielleicht doch werde ich diesmal Spaß haben? Es ist Sommer es ist heiß werde ich mir einen Sonnenbrand holen?
   Warum denke ich so etwas? Sie werden um mich rumstehen in bunten Shorts und
Trägerhemden und Sonnenbrillen und Nikes und Softeis schlecken die Kinder mit verschmierten Mündern quengelnd in der Hitze des Vormittags die größeren mit Baseballkappen und Skateboards und Rollerblades und Ghettoblastem und es wird laut sein und die Sonne wird mich blenden, ach nein, sie verbinden einem ja die Augen.
   Es ist Nacht geworden. Die Lichter der Stadt vereinigen sich am Himmel zu einem farbig
fluoreszierenden Dach, keine Sterne, nur eine Decke aus Licht, reflektiert in den unendlichen
Weiten des Alls. Deine Tränen werden nie im Mondlicht schimmern solltest du je um mich weinen ich habe keine Tränen mehr und für mich selbst sowieso nie welche gehabt es wäre gelogen würde ich sagen weine nicht um mich ich wünsche mir dass du weinst damit ich weiß dass mein Tod einen Grund hat dass ich nicht wegen eines Wunschtraumes sterbe. Haben sie es dir verboten oder wirst du da sein morgen wenn sie mich in das abgesperrte Areal führen mich an die Mitte der Mauer stellen mir die Augen verbinden wirst du der letzte Anblick sein den ich mitnehme von dieser Welt du in der bunten Menge der Zuschauer neugierig wie sie oder blass erschrocken oder mit unbewegtem Gesicht wirst du dich abwenden wenn sie anlegen und auf mich zielen wirst du dein Gesicht mit den Händen bedecken wirst du die Absperrung durchbrechen auf mich zurennen dich dazwischenwerfen ein verzweifeltes Nein herausschreien wirst du mit zugehaltenen Ohren dastehen und warten bis du den Knall trotzdem gehört hast wirst du weglaufen stehen bleiben wie erstarrt auf mich zurennen wenn ich mich bereits tödlich getroffen krümme und zu Boden falle wirst
du mir die Binde abnehmen um mir noch ein letztes Mal in die sterbenden Augen zu sehen bevor sich diese Tore für immer schließen werden deine Tränen mein totes Gesicht benetzen deine Finger mit meinem Blut beschmiert sein wirst du sie verfluchen oder wirst du gar nicht da sein weil ich dir eigentlich nie etwas bedeutet habe?
   Die längsten Stunden meines Lebens tröpfeln dahin in der hohlen Dunkelheit, die nur durch gelegentliche Schritte des Wärters konturiert ist. Irgendwann wird das Tröpfeln heller werden und ich werde ihre Schritte hören sie werden nicht anklopfen ich werde nicht fragen wer da und sie werden nicht antworten this is not America.