.
Die Affen von Arashiyama
Natürlich sind sie in der Dunkelheit schneller als ein erwachsener Mensch; sie bewegen sich dann wie die Hyänen Dantes oder Miltons, kreisen in dem Waldstück, das man ihnen zur
alleinigen Verfügung gestellt hat (oben auf dem Hügel), manchmal tragen sie sogar so eine Art Papierkleidung (wer sie ihnen gibt, ist mir immer unerklärlich geblieben), und dann sehen sie
aus wie muslimische Kämpfer in weißen Umhängen. Aber wenn es hell wird, kommen sie doch wieder friedlich ins Freie; dann stehen sie auf der ersten Bodenwelle, halten die Hände hoch,
straffen ihre Haut, glucksen und scheinen manchmal sogar zu weinen (wie die berühmte Ratte, die Sesshu gemalt hat, eine Ratte in Tränen namida no nezumi). Wenn man ihnen länger
zusieht, hat man auch Gelegenheit zu beobachten, wie sie sich gegenseitig an den Brusthaaren zupfen, wie sie ihre Gelenke drei- oder viermal kreisen lassen und sich die Augen gegenseitig
mit einem Aststück auswischen. Manchmal verschwinden sie aber auch sofort hinter den Stromkästen, die neben einer
Ansammlung aus Felsen stehen, als fürchteten sie sich vor den Blicken, und dort, im Schutz des verdunkelnden Betons, durchstoßen sie dann die Luft wie Boxer mit ihren Fäusten und
bedrohen sich gegenseitig mit Blicken, als wollten sie sich Mut antrainieren, um wenig später auch den Besucher anzufallen. Manchmal lassen die Affen von Arashiyama wirklich zischen.
Es gibt genügend Regentage in Kyoto; die Affen verstecken sich dann in dem Wäldchen
oberhalb der Brücke, ducken sich in den Regen hinein wie in ein altes nach Fäulnis riechendes Zelt. Aber die Sonnentage sind häufiger, und an solchen Tagen werden sie von Besuchern
gefüttert und dann kann es vorkommen, dass sie sich Hals über Kopf in den menschlich nur zu bekannten Zustand der allgemeinen Erregung stürzen; dann gibt es nur ein Mittel, man muss
ihnen Schlafmittel unters Futter mischen; denn sonst wären sie in der Nacht so lebhaft, dass sie auf den Nebenstraßen von Kyoto spazieren und sich dort von den Autos überrollen lassen
würden. Ich bin ihnen oft gefolgt, habe mich dabei immer an das Verbot gehalten, sie nicht zu füttern, und irgendwie habe ich mich dabei immer - wenn ich die zweihundert oder so Schritte
über die Holzbrücke von Arashiyama hinter mir hatte und langsam den Hügel hinaufging, vorbei an den Steinen, den Felsen, den klebrigen Stämmen, den Rundungen der Gräber - an das große
Bild im Tempel Tofukuji erinnert. Nur zu Neujahr wird es gezeigt: Der Buddha liegt da wie in einem Schaufenster aus Baumstämmen, auf einer Liege, und die Menschen umgeben ihn mit
ihren wehrlosen Begierden. Man darf die Affen von Atashiyama nicht füttern, genauso wie man den Buddha nicht berühren darf. Dann höre ich sie meistens schon, sie traben über die mit
Hölzchen bedeckten Waldwege, sie fliehen vor mir, sie wollen mich nicht treffen. Aber ich bestehe darauf. Am Ende finde ich sie jedes Mal doch wieder: sie sitzen großmännisch auf einem
Platz mit Kieseln (fünfzehn Tiere zähle ich), natürlich alle bekleidet mit Papierumhängen und von bester Gesundheit.
Dafür haben sie ihre öligen Bewegungen eingestellt und sind ganz ruhig, als hätten sie
minutenlange Gedanken, für die sie Zeit benötigen. Einen von ihnen versuche ich zu füttern, indem ich meine Schuhspitze gegen ihn drücke, dann abwartend meine Finger seinem sehnigen
Gesicht nähere, etwas Futter verliere und mich sofort wieder zurückziehe. Sein Gesicht ist gereizt und vergrößert, aber es scheint unmöglich. dass er sich etwas von mir geben lässt. Doch
plötzlich holt er ein Stück Brot aus meiner Hand. Ein Lächeln hüpft durch das Gesicht.
Irgendwie, dämmert es mir, würde er sich als Anführer in einem Krieg eignen: Er könnte seine Genossen anführen und ihnen beibringen, wie man Stangen hält und wie man über
baumlose Flächen hinwegsaust, ohne sich sehen zu lassen; oder könnte ihnen beibringen, wie man den Schmerz vergisst (nur ein Schlag in ein weiches Wachstuch), wie man anderen Affen den
Arm ausrenkt und wie man mit einer Suntory-Whiskey-Flasche einen Posten niedermacht. Affen, hat mir einmal ein Freund erzählt, besitzen ein besonderes Sensorium, mit dem sie sogar die
Feuchtigkeit auf den elektrischen Oberleitungen spüren. Was weiß ich, ob das stimmt. Am Ende meines Besuches haben sie geweint, wie eine Runde betrunkener Partisanen saßen sie mir zu
Füßen, die Finger an den Gesichtern, herumhippelnd, irgendwie böse, und ich habe gedacht, dass man den Krieg nicht Affen überlassen sollte, weil er zu wichtig ist ...