Alexej Moir

 


 

 


Rote Pferde und violette Bäume

                          Das Bild im Islam

 

»Als das Kriegsschiff in Piräus einläuft, regnet es in Strömen. Alle Kirchenglocken der Stadt läuten. Und das Dröhnen der Schiffshörner machen fast taub. Eine Kapelle spielt die Nationalhymne. Bischöfe, Mönche und Politiker drängen sich am Kai, um den hohen Gast gebührend willkommen zu heißen. Eine schwarze Limousine bringt ihn dann unverzüglich in die Hauptstadt. Polizeiautos mit Blaulicht und Sirenen begleiten die Fahrt.« In Athen habe sich das Schauspiel wiederholt. Die gesamte Regierung sei zugegen gewesen, als die blumengeschmückte »Majestät« herausgetragen wird. Erst als der Erzbischof ehrfürchtig den Goldbeschlag der Panajia Eleusa. der »barmherzigen Gottesmutter« geküsst habe, ist das Inkognito des Gastes gelüftet. Man stelle sich vor: Da kommt ein berühmtes Bild, eine Ikone, die Maria darstellt, nach Athen. Und sie wird wie eine leibhaftige Königin, wie eine Göttin empfangen.

Ein solche Erlebnis bringt einen jungen Griechen noch viele Jahre später ins Schwärmen. Sein muslimischer Altersgenosse mag ihm da nur verständnislos zuhören. Vielleicht ist er sogar entsetzt, dass einer banalen Ikone göttliche Ehren zuteil werden. Einem Bild in einem solchen Maße zu hofieren ist eine grobe Missachtung Allahs. Und am Tage des Gerichts muss auch der Künstler die Folgen eines solchen Frevels tragen. Wer ein Lebewesen nachbildet, so weiß es die islamischen Überlieferung, wird am Tage des Gerichts aufgefordert, ihm Leben einzuhauchen. Da das nur Gott kann, verfällt die Seele der Verdammnis.

Eigentlich ist eine umfassende Bilderfeindlichkeit dem ursprünglichen Islam fremd. Der Koran kennt kein generelles Verbot bildlicher Darstellung belebter Wesen in Skulptur und Malerei. Dass sie von Beginn an in den Moscheen fehlen, steht in innerer Korrespondenz zur Zerstörung der heidnischen Idole, die der Prophet nach der Eroberung der Ka'ba in Mekka angeordnet hat. Denn wenn der Islam von einer fixen Idee besessen ist, so ist das der Absolutheitsanspruch Gottes, der auch nur die Verehrung eines Bildnisses weit von sich weist. In einem frühen Hadith, dieser skrupulös zusammengestellten Sammlung von Aussprüchen, die man dem Propheten zuschreibt, heißt es: Die Engel betreten keinen Tempel (bait), in dem sich Bilder und Hunde befinden. Später wird der Begriff bait in weiterem Sinne als Haus interpretiert. Der ursprüngliche Sinn des Hadith ist damit radikal entstellt. Vom 9. Jhd. an hat sich das Verbot der nachahmenden Darstellung belebter Wesen überall im islamischen Kulturkreis durchgesetzt. Denn in dieser Nachbildung tritt der Künstler in Konkurrenz zum Schöpfergott. Er maßt sich an, selbst kreativ zu sein. Doch allein Allah ist der Bildner, darum darf der Mensch nichts Vollkommenes, Dauerhaftes schaffen. Es gilt das Prinzip Erschaffenes erschafft nichts. Um nicht in das göttliche Schöpferprivileg einzugreifen, fügt der Meister auf seinen Keramiken mit einem sonst vollendeten Dekor unmotivierte Glasurflecken hinzu, die sein Werk absichtlich entstellen.

Trotz dieser Einschränkungen erfährt die islamische Kunst, darunter auch die Malerei, seit dem 13. Jhd. einen ungeahnten Aufschwung. Im Bewusstsein um die Vergänglichkeit aller Dinge versucht der Künstler die Natureindrücke durch die Fantasie umzuprägen, sie gleichsam zu entwerten, d.h. sie ins Ornamentale zu übersetzen. Das Resultat ist um so gelungener, je weiter es sich von der Realität entfernt hat. In den vegetabilen Ornamenten steigern sich Blatt und Ranke zur Arabeske. Entgegen allen Naturgesetzen durchdringt eine Ranke ein Blatt und wächst in einer nächsten Blüte weiter. Nichts ist willkürlich. Alles ist wohl durchkomponiert und gehorcht diffizilen Gesetzen, die nur der Eingeweihte völlig durchschaut.

Die Kunst im Islam schert so sehr aus der erfahrbaren Wirklichkeit aus, dass man vermuten kann, der im Orient zu allen Zeiten weit verbreitete Haschischgenuss habe stilbildend auf die islamische Kultur eingewirkt. D er französische Dichter und Drogenforscher Henri Michaux geht noch weiter: Die islamische Kunst sei offensichtlich aus Haschisch-Visionen hervorgegangen. In seinen »Minarett-Visionen« zieht er den Schluss, weder der Orient noch der Islam seien für die charakteristische Eigenart der Architektur und dessen gleichsam schwebende Verfeinerung verantwortlich, sondern der Hanf.

Der muslimische Maler hegt einen tiefen Respekt vor dem »Geheimnis«, das jedes lebendige Geschöpf in sich birgt, ein Geheimnis, das sich der irdischen Form der Darstellung entzieht. Dennoch muss es nicht unislamisch sein, mit dem Pinsel dieses Sujet zu gestalten. Der erste große islamische Theologe Ibn Abbas empfahl, die Tiere zu »köpfen« und die Menschen zu »verstümmeln«, damit sie nicht mehr lebendig wirken und den Blumen ähnlich sind. Die Figuren im türkischen Schattenspiel (hayal oyunu) haben Löcher, wo die Anatomie Gelenke vorsieht. In diesen stecken Stäbe, mit denen der Spieler die Gestalten bewegt. Mit Hilfe eben dieser Löcher hat man geschickt das Verbot umgangen, lebensfähige Geschöpfe nachzubilden. Mit einem Loch im Leib lässt sich nun einmal nicht leben.

Die Tiere und Menschen auf den persischen Miniaturen sind eigentlich keine Wesen von dieser Welt. Sie existieren in einer anderen Dimension. S ie sind wie Schemen, die von anderswoher auf eine glatte Oberfläche geworfen und dann in den Farben unserer begrenzten Welt ausgemalt sind. Zudem erhöht das Fehlen einer Perspektive die Empfindung von Objektivität. Denn die Perspektive impliziert immer Gegenwart, sie suggeriert das Eingreifen eines individuellen Subjekts. Und diesen Eindruck gilt es um jeden Preis zu vermeiden.

Für den Islam ist das Licht das am wenigsten unangemessene Symbol der Gottheit. In der berühmten surat al-nur, dem »Lichtvers«, heißt es: Gott ist das Licht von Himmel und Erde. Sein Licht ist einer Nische zu vergleichen, mit einer Lampe darin. Die Lampe ist von Glas umgeben, das so blank ist, wie wenn es ein funkelnder Stern wäre. In seiner Wucht macht dieses Licht blind, und die menschliche Schwäche verlangt, dass es in die Farben des Spektrums gebrochen wird. Das Bedürfnis nach Farbigkeit kennt in der islamischen Welt keine Grenzen. Die Farbe ist der lebensspendende Kontrast zu der alles übertönenden M onotonie des ewigen Sandes und der Felsen.

Die außerordentlich enge Bindung an die von Muhammad verkündete Lehre lässt die muslimischen Künstler eine völlig neue Ästhetik kreieren. Um nicht die Realität nachzuahmen – die Idee von der Mimesis der Natur haben die Muslime von Aristoteles übernommen – muss der Sinneswelt etwas Imaginäres, Abstraktes beigemischt werden. An Stelle der Perspektive, der Raumtiefe, des Spiels von Licht und Schatten tritt das Prinzip des Irrealen. Jede Form von Individualität und die konkrete Einmaligkeit werden unterdrückt. Die Ähnlichkeit mit einer bestimmten Person ist unbedingt zu vermeiden. Das schließt die Herstellung von Porträts und »schattenwerfenden« Skulpturen aus. In der Negierung von Naturalismus und Realismus ist das autonome Kunstwerk geboren. Analog zum aus der griechischen Philosophie entlehnten Atomismus besteht jede Darstellung aus verschiedenen Kompositionen gleicher Grundeinheiten. Form und Farbe definieren sich allein durch die innere Notwendigkeit des Künstlerischen. Um zum autonomen Raum zu gelangen, wird an Stelle der horizontalen Tiefe ein Raum in die Vertikale hinein geschaffen. Die einzelnen Personen sind übereinander nach oben angeordnet. Das entspricht einer vertikal verlaufenden Spirale, die jeweils durch die Augen, die Gesichter und bisweilen durch die Hände hindurchläuft. In der Tat erhält die Figur der Spirale in der islamischen Mystik ihre besondere Bedeutung. Gott knüpft Kontakt über den Zyklus der Propheten und dann in der Schi'a über die 12 Imame mit der Seele des Mysten durch eine geistige Spiralbewegung. Sie wird zum immanenten Ordnungsprinzip in Kunst und Kosmos.

Die autonome Welt des Kunstwerks wird aber nicht allein durch die Spiralform konstituiert. Auch Farbe und Form müssen in diese Art von Welt »passen«. Der Maler verwendet Farben, die von Natur aus unmöglich, ja absurd sind. Rote Pferde oder violette Baumstämme, die dazu Falten werfen wie Kleider, zwingen den Betrachter, den Sinn des Bildes in einer neuen Welt zu suchen. Im Gegensatz zur abstrakten Malerei der Moderne bleibt die islamische Kunst in jedem Fall figural. Neben der autonomen Ebene existiert auch immer die Ebene der dargestellten Welt, wenn diese auch durch religiöse Auflagen tiefgreifend verändert ist. Aus dieser Doppelexistenz gewinnt die islamische Malerei ihre Spannung und Tiefe.

Strenggenommen gibt es im Islam keinen Unterschied zwischen sakraler und weltlicher Kunst. Wer einmal echte Erzeugnisse muslimischen Handwerks in der Hand gehalten hat, der hat den Islam berührt. Weil der Künstler durch seine Arbeit nicht die Gegenwart einfangen, sondern ihre Gesamtheit aus dem trügerischen Gefängnis der äußeren Erscheinungen befreien will, schafft er einen Raum, in dem die Dinge frei atmen können. Alle Sujets wirken »losgelöst«, zeitlos, fast heiter. Sie existieren im Offenen. Darin gleichen sie den Bewohnern dieses Kulturkreises, deren Leben tiefgreifend von der Wüste, der Steppe geprägt ist.

Das, was die moderne Kunst zu ruinieren droht, nämlich der Zwang, immer Neues schaffen zu müssen, hat den muslimischen Künstler nie tangiert. Zu keiner Zeit hat er sich um Originalität oder Individualität bemüht. Wo sie dennoch entstanden sind, geschah das eher unbeabsichtigt. Denn Ziel ist es, sich in den allgemeinen Rahmen einzupassen, den die künstlerische Grundsprache des dar al-Islam vorgibt. Hier trifft sich der schöpferische Muslim mit seinem »Kollegen« aus der christlichen Orthodoxie. Der Ikonenmaler hat durch die Jahrhunderte immer wieder dieselben Figuren auf die Oberfläche des Holzbrettes gebannt. Je näher er der Vorlage kommt, um so wahrer und stärker ist das Bild. Komposition, Farbigkeit und Physiognomie unterliegen strengen kanonischen Regeln. Was auf den ersten Blick starr und fremdartig erscheinen mag, ist durchaus Absicht. Das »Fenster« zur himmlischen Welt darf die irdisch erfahrbare Realität nicht nachahmen. Es duldet weder Raumtiefe noch Plastizität der Figuren.

Der Islam ist besonders jeder Art von Einengung des Göttlichen abgeneigt. Das stellt den Maler gerade bei der Illuminierung des Korans vor ein Problem: Wie kann er die Eingrenzung durch die Ränder einer Buchseite vermeiden? Einerseits verwendet er Motive wie die Palmette, ein stilisiertes »Bäumchen«, deren Spitzen nach außen auf das weisen, was jenseits der Seite liegt. Dann bedient er sich wiederholender Muster, die zwar gewissermaßen durch den Rand zerschnitten werden, die jedoch die Fantasie des Betrachters nach Belieben in jede Richtung weiter ausdehnen kann. Wie bei der arabischen Schrift wird die menschliche Einbildungskraft dazu aufgefordert, das hinzuzufügen, was das graphische Bild nur anzudeuten vermag.