Rolf Grimminger

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Nature morte.
Stillleben mit Booten und See


Wolfgang sagt etwas. Das Wetter brütet heute, sagt er zu Eisa, als er versucht, das Segelboot zu wenden. Das Wasser kräuselt sich, die Luft streicht über das Großsegel, der Mastbaum zieht über ihre Köpfe hinweg. Eisa duckt sich, Wolfgang duckt sich, sie sind geduckt. Ihre Köpfe heben sich wieder, und träge gleiten sie weiter, keine Brise bringt sie heute in Fahrt. Hast du manchmal auch das Gefühl, beobachtet zu werden und weißt nicht woher?, fragt Eisa. Wolfgang ist darüber so überrascht, dass er nicht antwortet. Da ist jetzt nichts, worauf er antworten könnte. Ganz in der Feme verschleiern sich Berge.
   Eine Ruderregatta arbeitet vorbei. Oberkörper und Arme biegen sich, sie beugen sich vor und zurück, dann geschieht für eine Weile wiederum nichts. Der See ist glatt, spiegelglatt liegt er da, und die Luft streicht kaum über ihn, als später ein Motorboot auftaucht. Schneidend hat es den Bug über dem Wasser, der hochsteigt und wieder herunterfällt. Das Boot pflügt über den See, schwarz und gewaltig anzusehen, Wellen schäumen hinter dem Kiel, und das Donnern des Motors wird hörbar, als Eisa noch sagt, da kriegst du Angst und weißt nicht woher, sagt sie. Wolfgang bewegt unschlüssig den Kopf. ,
   Er blickt in die Tiefe des Wassers auf Schlinggewächse, die sich hoch winden, Säulen aus
Pflanzen mit Fächern, durch die er Fische gleiten sieht in geschmeidiger Stummheit. Eisa, die etwas anders sieht, weist mit gestrecktem Arm über den See: Da vorne schießt ein schwarzes Boot auf uns zu! Gefährlich, wir können nicht ausweichen. Jetzt lächelt Wolfgang, denn Motorboote gibt es überall, sagt er, gleich wird es seinen Kurs ändern und an uns vorbeirauschen. Es muss die Richtung wechseln, dazu ist es verpflichtet. Aber sieh' doch hin, Wolfgang! Vorne am Steuer steht ein Mann und starrt mit dem Fernglas auf uns. Er nimmt uns ins Visier, siehst du das nicht?
   Das Motorboot verliert an Fahrt, zögernd gleitet es weiter, bis es ruhig auf dem Wasser liegen bleibt und Wolfgang sagt, siehst du, da ist keine Gefahr, habe ich gleich gesagt. Die Ruderboote haben sich weiter entfernt, und der Mann starrt mit den Froschaugen seines Feldstechers herüber. Er setzt die Froschaugen ab, das Gerät maskiert ihn nicht mehr. Sein bloßgelegtes Gesicht, knochig wie sein Körper, wirkt aus der Entfernung alterslos in seinen Kanten und Ecken. Dann steht er im Heck, und als er sich bückt, wie um nach etwas zu suchen, sagt Eisa, das Boot sieht aus wie ein schwimmender Sarg. Nein! Es ist ein Schnellboot, findet Wolfgang, das überhaupt keine Ähnlichkeit mit schwimmenden Särgen hat. Kindergeschrei aus dem Strandbad dringt herüber, das Segelboot treibt plätschernd weiter, und der Mann scheint gefunden zu haben, wonach er suchte. Aus seiner gebückten Haltung im Heck richtet er sich auf und hat jetzt ein Sprachrohr in der Hand. So eine Tröte hat er in der Faust, die er vor sein Gesicht hält. Wolfgang, der meint uns, sagt Eisa, und Wolfgang antwortet, und wenn schon, kann Wolfgang noch sagen, bevor sie hören: Haut bloß ab oder ihr sollt mich noch kennen lernen!
   Dunst liegt über dem See, als das schwarze Motorboot wieder startet, laut und derart gewaltig, als wollte es die beiden rammen. Es rast heran, und Wolfgang nimmt das Paddel des Segelboots in die Hand. um den Schilfgürtel des Ufers vielleicht schneller erreichen zu können. Das Dickicht liegt nahe, doch das Boot bewegt sich derart langsam darauf zu, dass der Abstand zu ihremVerfolger sich sprunghaft verringert. Ein ungleiches Duell, wer es verlieren wird, steht eigentlich außer Zweifel Sie haben kaum eine Chance mehr zu entkommen, als es vorne am Bug zu knistern beginnt. Es rauscht um ihr Segelboot, Schilfrohre biegen sich. Bootsrumpf und Schwert quetschen sich durch Röhricht, das ihnen keinen Platz geben wll und den schwarzen Verfolger noch weniger eindringen lässt, hofft Wolfgang. Er sagt, der läuft hier auf, der bleibt im flachen Wasser stecken,
bevor er bis zu uns durchkommt. Braune Fruchtkolben stehen hoch, Wildenten flattern, Seerosen umkränzen den Bug, rosa Sterne, und auf einem Stern sitzt ein grün leuchtender Frosch. Magie der Farben, sagt Elsa stockend. Kein Laut sonst, nur das leise Plätschern des Wassers, und es ist ihnen, als könnten sie die Stille jetzt sehen. Die Stille besteht aus Wasser und Pflanzen. Auch ihr Verfolger hat den Motor abgedrosselt, bevor seine Stimme nochmals aus der Tröte herüber krächzt: Verpisst euch, hab ich gesagt! Oder es passiert euch was!
   Und wiederum Stillleben. Für eine Weile schaukelt das Boot lautlos mit sich alleine dahin, bis plötzlich dieses Geräusch entsteht, das so hohl klingt und blechern. Zwischen Schilfrohren und Bug hat sich ein Fass einklemmt. Es ist rot in einer vom Altern blind gewordenen Farbe und vom Schilf so umwachsen, als läge es schon seit Jahren darin. Ausgebeult .und groß und rund liegt das blecherne Fass vor ihnen im Wasser, und als Wolfgang es ins Boot herein hebt, ist es so leicht wie ein Fliegengewicht. Das Boot rührt sich jetzt nicht mehr vom Fleck. Schilfrohre sperren es von der Außenwelt ab, auch ihr Verfolger ist unsichtbar geblieben, doch lässt er schon wieder von sich hören, als draußen das Sprachrohr der Tröte krächzt: Lasst bloß das Fass in Ruhe, wenn ihr weiter
leben wollt!
   Das Fass ist lautlos in seinem Leichtgewicht, es ist ja ganz hohl, sagt Elsa enttäuscht. Als
Wolfgang sein Ohr auf das Fass legt, rausch es darin so fern und geheimnisvoll wie eine
Windharfe in einer Muschel aus Blech. Die Klänge verstummen sofort wieder, als Wolfgang das Fass zu schütteln beginnt. Auch lässt es sich nicht öffnen, zwar versucht er es mit Gewalt, doch bleibt der Deckel wie angeschweißt oben. Rostig sitzt er fest. Umsonst sind die Schürfwunden an den Händen, was machst du denn da?, fragt Elsa. Irgendwas muss das Fass doch enthalten, antwortet Wolfgang, nur gibt es sein Geheimnis nicht preis. Ein Schwarm kleiner Fische huscht im Wasser vorüber, eine Konservendose schaukelt vorbei, Maggi, bemerkt Eisa, und eine Libelle schwirrt über das Boot. Es ist wieder vollkommen still. Hörst du? Da ist nichts mehr, sagt Wolfgang, kein Kindergeschrei aus dem Strandbad, kein Motorenlärm. Da ist nur das Dickicht aus Schilf, und es sieht jetzt so aus, als wäre die große Stille noch enger um sie herum gewachsen.
   Der Schuss verirrt sich dann so zielgenau, dass er Elsas Oberschenkel streift. Er hinterlässt
eine Fleischwunde, die kaum blutet. Von ein paar Tropfen abgesehen, hat der Schuss nur einen Strich wie mit dem Lippenstift gezogen, sehen sie, als sie sich auf den Boden des Segelboots gelegt haben. Nochmals knallt ein Schuss, der über das liegende Paar hinwegsirrt. Danach kehrt diese Panstille wieder zurück, stummes Brüten des großen Mittags, lautlose Schwere der Luft.
   Bis jetzt lag sie drückend auf ihnen, die Flaute.fächelte kaum, und auf dem Wasser spürst du kaum einen Hauch, sagte Elsa noch, als das Boot schon anfängt, unruhig zu werden. Es ist, als ob die stehende Luft in eine kräftige Brise umschlagen wollte, die den Bootskörper dann tatsächlich wendet. Er dreht sich um sich selbst, er rauscht durch den Schilfbiotop und drängt die Rohre beiseite, zwischen denen das Fass liegen bleibt, das ins Wasser gerollt ist, wo es dahindümpelt. Das Boot schlingert, es treibt hinaus auf den offenen See, Wind, endlich ist Wind aufgekommen, der das Boot vor sich her bläst. Die beiden sitzen jetzt auf dem Boden, knapp über dem See haben sie sich hingesetzt, und noch zieht das Schilf an ihren Augen vorbei. Gleich wird es hinter ihnen liegen, und ihr Verfolger taucht dann wieder auf, der auf sie wartet.
   Sie hören, wie der Motor startet. Das donnernde Geräusch dringt zu ihnen, und als ihre Sicht nicht mehr verstellt ist vom Schilf, sehen sie das schwarze Boot hinausrasen auf den See, Strömungswellen im Kielwasser und den Bug schneidend über den Wellen.
   Der kantige Mann sitzt am Steuer. Er hat jetzt eine Kapitänsmütze auf dem Kopf, und hinter ihm liegt das Fass. Sein blechernes Rot leuchtet wie ein Signal.