Ursiade
„…werde ich das Trentino und Italien längst verlassen haben. Einem inneren Brummton folgend, welcher meine Seele in erwartungsfrohe Schwingungen versetzt hat, mache ich mich endlich auf die Sohlen,
um in das Land unserer Väter zurückzukehren, nach Germanien. Vielleicht ist es mir dort beschieden, den von manchen Künstlern und insbesondere Dichtern in nördlichen Waldeinsamkeiten angesiedelten
edlen Menschenbruder zu finden, dem ich im gänzlich unromantischen Süden niemals begegnet bin.
„Gott mit dir, du Land der Bayern“, lautet der Beginn einer Hymne, die in meiner neuen Heimat bis auf den Ministerpräsidenten fast jeder Untertan auswendig kennt. Ich will mich diesem populären Wunsch nur allzu gern anschließen, denn begnadet schön ist es hier in der Tat. Und w i e herzlich gestaltet sich der Empfang, welcher mir jeden Tag aufs Neue zuteil wird: die Medien feiern meine Ankunft frenetisch, Sommerfrischler schwenken weiß-blaue Rautenfähnchen und aus dem klerikalen Umfeld des Pfaffenwinkels wird mir gesteigerte Zuwendung zuteil. Da bitten mich Ursulinerinnen reihenweise um ein Autogramm; Benediktinermönche schuhplatteln, was das Zeug hält; Trapisten brechen ihr Schweigegelübde und johlen mir auf offener Straße zu; Franziskaner wollen mich unablässig streicheln und unbeschuhte Karmeliterinnen reihen sich untergehakt zum spontanen Cancan. Die Macht der Tracht mag nicht zurückstehen: in Kochel am See sind nach meinem Levée am Marktplatz ausgerechnet mehrere Gebirgsschützen-Kompanien angetreten, um Defilier- und sonstige Märsche zu meiner Ehre zu schmettern. Nicht minder überschwänglich gestalten sich Willkommenszeremonien seitens solcher Institutionen und Organisationen, so sich um Wohl und Wehe von Flora, Fauna und Umwelt kümmern, wie beispielsweise des Verbands für Wildtierforschung und Ökologie, der Vereinigung raubtierliebender Ehefrauen oder der eigens angereisten Neuköllner Initiative zur Wiederansiedlung schwersozialisierbarer Pelztiere mit Migrationshintergrund.
Einen vorläufigen Höhepunkt fand die Begeisterung über mein Erscheinen in der instantanen Einberufung eines Ursulogen-Kongresses in den Räumlichkeiten der Universität München. Ich wurde gewogen, vermessen, computertomographiert und DNA-analysiert: eene gene muh und Bär bist du! Dabei fanden die Experten tatsächlich heraus, daß ich von meiner Mutter Dschäydschäy abstamme und statt Bruno einfach Dschäydschäywonn heiße, was mich zu der schönen Hoffnung berechtigt, mit solch angelsächsischen Initialen einer internationalen Karriere als Bear of the Year oder gar Wappentier der N.Y. Stock Exchange entgegenzugehen.
Vermutlich angeregt durch aus Italien angeforderte Berichte über erotisch hemmungslose Umtriebe meiner südländischen Mama konzentrierte sich dann das Interesse diverser Psychologen und Sexualforscher auf meine Libido. Einige von ihnen gerieten in nachgerade körperliche Wallungen, nachdem sie hypertrophe physische Potenz ihres Untersuchungsobjekts diagnostiziert hatten und daraus die Folgerung zogen, ich könne in freier Wildbahn wegen ausgeprägter juveniler Triebschübe zur Gefahr für einheimische Arten werden sowie womöglich durch Produktion von Kreuzungen rassische Verunreinigungen herbeiführen. Ich nehme an, die Kapazitätinnen und Kapazitäten verfielen auf solcherlei Szenarien infolge meiner unbedachten Äußerungen, ich hätte in Ermangelung arteigener Geschlechtspartnerinnen gelegentlich auch Schafe, Kühe oder Ziegen gebärelt, und das nicht bloß aufreitend, sondern in Missionarsstellung.
In einer nächsten Forschungssequenz wurden auch Intelligenz und humanistisch-literarische Bildung strengsten Evaluierungen unterzogen. Mein IQ lag immerhin bei 150 Punkten, eine Marke, welche ich nunmehr mit so unterschiedlichen Charakteren wie dem Namenspatron und Philosophen Giordano Bruno und dem fetten großdeutschen Luftmarschall Hermann Göring teile. Meine Kenntnisse der Literatur, insbesondere der Schriften Heinrich Heines, überzeugten schließlich sogar jene Professoren, die dem Bohei um mich anfangs eher reserviert gegenübergestanden hatten. Und als ich ausführlich aus dem „Atta Troll“ zitierte, meinten einige Gelehrte, so grundsätzlich Vieles habe sich seitdem in diesem unserem Lande nun auch wieder nicht geändert. Abschluß und Höhepunkt der Veranstaltung bildete im Sinne eines Quasi-Rigorosums die öffentliche philosophisch–theologische Diskussion, welche mir allerdings lediglich die zweitbeste Note eines magna cum laude einbrachte. Diese Beurteilung hatte ihren Grund sicherlich darin, daß ich mich als Pantheist offenbart, die mythische Einheit von Pflanze, Tier und Mensch beschworen und der hierzulande tiefverwurzelten christlichen Theorie von der Gottesebenbildlichkeit des Menschen mit der Reservatio widersprochen hatte, angesichts des nicht zu allen Zeiten rühmlichen Tuns der Spezies homo sapiens sapiens sei doch auf einen eher dubiosen Charakter des Schöpfers zu schließen. Trotz derartiger ketzerischer Einlassungen sah ich mich am Ende der Prozedur zum „Kulturbären“ promoviert, was mich mit größtem Stolz erfüllt, zumal Urvater Atta es nur bis zum Tendenzbären gebracht hat.
Wie jeder Kongress klang auch dieser mit einem offiziellen Empfang aus. Die ursprünglich im Bayerischen Jagdmuseum vorgesehene Zeremonie fand auf meine dringliche Intervention hin im Antiquarium der Residenz statt. Prominenz aus Wissenschaft, Kunst und Politik gab sich ein Stelldichein. Als irritierend empfand ich lediglich das offensichtlich demonstrative Fernbleiben des Ministers für Umwelt- und Naturschutz, der meine in den Stand der Gleichwertigkeit erhobene Tierseele mit seinem Humanethos wohl nicht in Einklang zu bringen wußte. Der Mann hatte ganz einfach etwas gegen starke Naturen und entsprach somit so ganz und gar nicht dem von mir erhofften Bild eines edlen Menschenbruders. Nach nicht endenwollenden Elogen auf den zotteligen Ehrengast durfte ich mich schließlich einem vom berühmtesten Insekt der Stadt eigens für mich angerichteten Buffet mit frischem Lachs und leckeren Innereien zuwenden. Ein ostpreußischer Veterinär und Naturschützer aus Gumbinnen wich nicht mehr von meiner Seite und versuchte vergeblich, mich zu einer Übersiedelung in die Woiwodschaft Allenstein zu überreden. Angesichts meiner reservierten Haltung intensivierte er seine Überzeugungsbemühungen durch permanentes Brüderschaftstrinken mit einem scheußlich süß schmeckenden Likör Marke „Bärenfang“. Ich aber blieb standhaft wie heimattreu und begnügte mich zum Dessert mit einem Dutzend Honigwaben. Nach all den Lobreden und der pompösen Verleihung der Lausitzer Klaue in Gold durch eine dickliche Dame im lila Kostüm hatte ich bald das Gefühl, wie weiland mein Urahn wieder in die Rolle eines Tanzbären hineinmanövriert worden zu sein. Mit entsprechend gemischten Gefühlen und reichlich betrunken trollte ich mich spät in der Nacht in mein Hotel.
In „Teddies Schloßresidenz Nimrod“ hatte man mir einfühlsamerweise die Jagdsuite zugedacht. Dahinter konnte nur mein unedler Intimfeind stecken. Zwar hing im Vorraum die Reproduktion von Overbecks klassischer Allegorie „Germania und Italia“, welche meine zweigeteilte Seele merklich anrührte. Die Wände der übrigen Räume aber waren ausgestaltet mit Szenen einer tiroler Bärenhatz. Nicht zuletzt unter der Wirkung des reichlich genossenen Likörs erschienen mir die höchst realistisch ins Bild gesetzten Malereien plötzlich wie ein Menetekel. Ich versank in verstörende Alpträume, in denen sich die heile bayerische Welt mit einemmal gänzlich andersartig darstellte. Statt Willkommensfesten und Ovationen über meine Zuwanderung fanden sich jetzt nur noch negative Schlagzeilen in den Medien und ich mußte mir übelwollende Äußerungen von selbsternannten Experten, einer ganzen Riege von anthropomorph salbadernden Psychologen und bedenkentragenden Landespolitikern gefallen lassen. Bruno sei ein Problem-, ja Risikobär, hieß es da, ein entartetes Raubtier, schwererziehbar und übertriebhaft, geprägt von einer sozialauffälligen Mutter. Er übe perverse sexuelle Praktiken aus und sei womöglich imstande, frische Landmädel oder sogar Altsennerinnen sodomitisch zu mißbrauchen. Man müsse die Bevölkerung schützen und keinesfalls sei einem derart monströsen Asylbewerber hierzulande ein Bleiberecht zu gewähren. Wo käme man denn hin, wenn jetzt auch noch Bären … Die oberlandlerische Jägerschaft polierte Instinkte und Gewehre und mein unedler Minister, der Jägersmeinung aufgeschnappt hatte, gab mich zum Abschuß frei. Die abgefeuerte Kugel als durchgeknalltes Remedur gegen Unordnung und Anarchie, Herumtreiberei und unkontrollierte Migration, flächendeckenden sexuellen Mißbrauch im ländlichen Umfeld, die Liquidierung des Unberechenbaren, Spontanen, Libertinösen in religiös eifernder Inbrunst. Ein Freischütz aus Bayerischzell erflehte Samiels Hilfe und goß nächtens Freikugeln. Schon hörte ich unter Tannewetzels Kichern das Projektil auf mich zuschwirren und gewahrte mich selbst als blutüberströmten Kadaver auf einer veterinärmedizinischen Zinkwanne, wo man mir das Fell abzog, mich in Teile zersägte, sezierte und unter großem Hallo meinen Penis präparierte.
Versammelt hatte sich die internationale crème de la crème der Pathologen-Gilde. Ich muß gestehen, daß mir die Euphorie ihrer Zwischenrufe bzw. Kommentare ungemein schmeichelte. Es drehte sich
alles um die Abmessungen meines Gemächts. Während sich die Präparatoren aus dem deutschsprachigen Raum auf prägnante Ausrufe wie etwa:„dat issene Täil“, „dascha ´n richtign Karwenzmann“, „äin
Lorbass, Jungchen, äin Lorbass“, „nu äbn, nu äbn“, „da Waaahnsinn“ oder schlicht: „Respekt, Respekt!“ beschränkten, artikulierten sich ausländische Fachleute weit blumiger. "Une extrémité
extraordinaire, une merveille, comme celle de Gargantua, nous sommes profondément émus!", hieß es da, oder: "toljko russkij medwedj moschet bytj obladajet bolje krupnym chujem", oder: "Gentlemen, I
think this tremendous cock to be the most impressive part of that animal, it reminds me of the meat of a hippopotamus, remarkable, very remarkable indeed!", und schließlich voll mediterraner
Begeisterung: "È un membro grandissimo, immenso, magnifico, maestoso, inconseptibile, incomparabile, adorabile, un miracolo, che cazzo divino!" Über allen unter der Fuchtel der concubiscentia carnis
stehenden Fachleuten aber gellte die rhythmisch skandierte und nicht endenwollende Kadenz aus der Kehle einer attraktiven Pathologin aus Bad Freienwalde, die sich in ein exklamatorisches Delirium
hineinsteigerte:
„Ouwoóuwouwouwouwou, ouwoóuwouwouwouwou, ouwoóuwouwouwóuwóu!“
Nach derart lustvoller Vermessung meines Genitals waren auch die Genetiker nochmals am Zuge. Einer von ihnen muß wohl leichte Weißfärbungen am linken Ohr sowie um den Augenbereich konstatiert haben, welche ihn zu der Diagnose veranlaßt haben mußten, daß wohl ein Quentchen Panda in meinem Genpool enthalten sein könnte. Nur schwach erinnerte ich mich daraufhin an ein allerdings nur kurzes Pantscherl meiner Mama mit einem chinesischen Artgenossen. Der einzige anwesende Kollege aus dem Reich der Mitte ereiferte sich ob dieser Analyse hörbar und sprach von Rassen- und Kulturschande. Sein englischer colleague schlug daraufhin vor, die Volksrepublik China möge doch zur Strafe die Repubblica Italiana zusammen mit unserem lieben deutschen Vaterland von einem ihrer global operierenden Hedge-Fonds en bloc aufkaufen lassen. Das habe immerhin den Vorteil, daß beide Länder sämtlicher politischer Querelen enthoben seien, ein privilegiertes Kulitum leben, sich endlich wieder auf die Rettung oder gar Wiederbelebung kultureller Valeurs konzentrieren und womöglich vom menschheitsverblödenden Globalismus abkoppeln könnten.
Der große Eisbär im Himmel droben hatte tatenlos solcher Tragödie zuschauen müssen und schüttelte traurig das Haupt, dieweil ein gemischter Chor aus Bad Tölz Giacomo Meyerbeers Requiem Animale pour un cadavre exquis mit dem Text des Sektionsberichts intonierte:
„Signalement: Braunbär; jungadult; männlich; abnorm viril; pathologisch-anatomische Befunde: auf Höhe der rechten 10. Rippe ein verformtes Projektil mit begleitender Splitterfraktur; Zusammenhangstrennung mit korrespondierender Einblutung …“
Ich erwachte mit naßgeschwitztem Fell und war froh, daß all diese Vorgänge einzig im Traumreich stattgefunden hatten. Niemals – so wußte ich aus tiefstem Herzen – hätte eine derartige Verschwörung gegen ein instinktgesteuertes und damit unschuldiges Gottesgeschöpf zumindest in diesem christkatholischen Land angezettelt werden können. Niemals könnte es auch nur denkbar sein, daß einem hochdekorierten Kulturbären in einem hochaufgetakelten Kulturstaat wie Bayern irgendein Leids geschehen würde. Trotz solcher Erkenntnis war ich von den Bärenchimären der vergangenen Nacht noch recht benommen und entschloß mich, Teddies jägerliches Idyll auf leisen Tatzen zu verlassen.
In der Kurfürstenstraße kehrte ich in der Schwabinger Traditionsgaststätte „Rheinpfalz“ ein, um mir ein Stützbier zu vergönnen. Der wirschmürrische Wirt mußte wohl von hochgebildeten Stammgästen geprägt worden sein. Skandierte er doch ausschließlich in gefälligen Hexametern, wie z. B.: „Ansag’, oh Zecher der Nacht, in Bezug auf die Biere, wer zahlt sie?“ Vom letzten Gast, einem Jesuitenzögling, der sich die höheren Weihen bei jedem Wodka aufs neue selbst verlieh und in der Rolle als fabulierender Tänzer auf selbstgezeichneter Linie gefiel, wurde ich in längere exegetische Turbulenzen hineingezogen, bevor ich nach dieser morgendlichen Viecherei endlich die Landeshauptstadt Richtung Süden verließ, um in der Vertrautheit der Bergwelt den Einklang mit der Natur wiederzufinden. Durch das Würmtal begab ich mich zum Starnberger See, wo ich bei Schloß Berg an jener Stelle ein Bad nahm, an der Bayerns heißgeliebter Märchenkönig ertrunken wurde. Wer hier prustend und schwanzwedelnd lebendig wieder den Fluten entsteigt, so dachte ich mir, ist endgültig wieder vom Seziertisch auferstanden. Am großen Ostersee frühstückte ich einige noch pulsierende Leberchen und Herzen, welche ich blödblökenden Schafen aus blutenden Leibern gerissen hatte – à la bonheur, Bruder Käfer, noch warm, nicht aufgewärmt sollten Innereien serviert werden! Den Reizen einer steißwackelnden Jungziege vermochte ich nicht zu widerstehen und beglückte das geilmeckernde Fräulein a tergo. In der Klosterbasilika Benediktbeuern holte ich mir als Besucher einer Hohen Messe der Salesianer Don Boscos den Segen urso et orbi und verließ den Pfaffenwinkel solchermaßen geistlich gestärkt und körperlich befriedigt. Mein Ziel ist eine Höhlensuite in Hinterbärenbad, wo mich die sodomitisch veranlagte Vorsitzende der Vereinigung raubtierliebender Ehefrauen erwartet. Sie hat ihren dünnblütigen Gatten verlassen und hofft auf ein haariges Familienleben mit mir nebst einer stattlichen Schar unangepaßter Zottelkinderchen.
P.S.: Wie ich aus gewöhnlich gutunterrichteten Kreisen höre, hat Ministerpräsident Äähh- Äähh-Äähh sich nach längerem Zögern nun doch entschlossen, seinen Minister für Umwelt- und Verbraucherschutz zu entlassen. Grund dafür mag die auch in der Öffentlichkeit nicht mehr zu übersehende Mutation bestimmter Körperteile sein. So trug der Demissionierte schon seit einiger Zeit merkwürdig animalisch verformtes orthopädisches Schuhwerk; die stets länger gewordenen Ärmel seiner Sakkos vermochten darunter hervorragende schwarze Klauen lediglich unzureichend zu verdecken, während das ehemals dünne, brav gescheitelte Haupthaar einer mächtigen Grizzly-Mähne gewichen ist. Auch könnte der Herr Minister kaum mehr eine seiner weit über die Landesgrenzen hinaus geschätzten Reden halten, weil er zu diesem Zweck das Maul öffnen und seine daumenlangen Fangzähne entblößen müßte. Als Kabinettsmitglied untragbar geworden ist er aber letztlich wegen sich häufender sodomitischer Übergriffe auf blühenden Weidegründen des heimatlichen Oberlands. Vor kurzem soll der sich immer öfter im Paßgang fortbewegende Ex-Minister sogar in Gegenwart einer Schar kreischender texanischer Teenager im Tierpark Hellabrunn versucht haben, ein vergeblich spuckendes Lama zu missionieren.
EIKE-WOLFGANG KORNHASS