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Das Orgelwunder
Duke's Brief kam aus dem tiefsten Urwald des schwarzen Kontinents. Dort steckte nämlich
Duke seit gut einem halben Jahr. Joe, sein Bruder, hatte ihn geöffnet. "Jungs, seht einmal
her. Duke hat uns geschrieben."
Das sagte er nicht ohne den Ex-Kapitän unserer Baseball-Mannschaft noch einmal zu
entschuldigen für dessen Entscheidung. Als wenn die so leicht zu verdauen gewesen wäre,
wo er uns doch im Stich gelassen hatte. Damals. War doch unglaublich. Obwohl wir ihn sehr
mochten, ein echter Kumpel, dieser Duke. Trotz seiner Marotte und seinem Temperament,
das manchmal ausbrach wie ein Vulkan. Wie damals, als James einen Schwarzen beleidigte
und Duke kurzerhand einen Schlagstock nahm und ihn windelweich prügelte. Zu der Zeit war er schon im Seminar und wild entschlossen, Priester zu werden. Nein, ein Frömmler war er nicht,
eher das Gegenteil. Bloß, als er uns, seine Mannschaft, im Stich ließ, um, wie er sagte, den schwarzen Brüdern zu helfen, da waren wir stocksauer. "Jungs, die brauchen mich doch!"
Und weg war er. Eine Woche nach der Primiz, und wir mit der Faust in der Tasche.
Trotzdem: ein toller Typ. Was nun seine Marotte anbetraf, die uns manchmal auf die Palme
brachte, so hockte er jeden Sonntag in der Kirche und spielte im Hochamt die Orgel, während wir draußen auf ihn warteten. Aber vom Orgelspiel verstand Duke eben nicht weniger, das war das
Problem. Und die Leute weinten vor Freude, wenn er einen guten Sonntag hatte, Weiße wie Schwarze. Wegen dieser Marotte kratzte sich Joe jetzt den Kopf, was er sonst nie tat: "Verdammt
schwer, sag ich euch. Lest selber, bin gespannt, was ihr davon haltet."
Und alle vertieften wir uns in den Brief aus Afrika, schüttelten den Kopf und sahen uns
fragend an. Duke brauchte, so schrieb er aus seinem Nigeria-Dorf, für die Kirche, die er mit
seinen Schwarzen gebaut hatte, eine Orgel. Eine gebrauchte, eine billige. Im Umschlag lag
ein Scheck über 100,- Dollar. Und wir sollten ihm dabei helfen eine Orgel aufzutreiben und
nach Nigeria zu schaffen. Wirklich ein irres Ding. Typisch Duke. Doch irgendwie, klar, musste ihm geholfen werden, trotz allem. Das waren wir ihm schuldig. Wo er so gerne Orgel
spielte. Frage nur, wie wir ihm helfen konnten. Ein_ schwieriger Fall. Erst hörten wir uns um bei Bekannten und Nachbarn, aber die lachten uns alle aus. Eine Orgel für einen solch
lächerlichen Betrag, vom Bahntransport und der Schiffsreise einmal ganz abgesehen!
Bis wir die Schnauze voll hatten und uns nach dem Motto „Help yourself" in Jacks
Schuppen verabredeten, wo wir wie Männer angestrengt überlegten. Lange. Aber es fiel uns
nichts ein, bis Helen, die kleine Blonde aus der Riverside-Street, die rettende Idee hatte:
Der alte Harry. Der bucklige Auktionator.
Also zogen wir alle Mann hoch zum alten Harry. Der schob seine Nickelbrille auf die
Nasenspitze, linste auf seine Auktionsliste und siehe da: Unter dem Trödel, der unter den
Hammer kommen sollte, befand sich auch eine alte Pfeifenorgel. Ob wir die denn· mal
besichtigen könnten? Und wir gleich aufs Lager, wo die Klamotten über- und nebeneinander
getürmt waren, bis wir in der hinteren Lagerecke den Orgelkasten entdeckten. Sah schlimm
aus dass einem die Tränen kamen, so verdreckt und verkratzt. Aber komplett war sie. Henry
trat aufs Pedal, und sie tönte ganz ordentlich. Also redeten wir wieder mit Harry, der uns
achselzuckend vorschlug, wir könnten ja den Eigentümer der Orgel aufsuchen, der wohne
auf der Green Lane und heiße Fisher, Samuel R. Fisher. Und wir also in die Green Lane zu
diesem Fisher, der alt war und klein und einen riesigen Vollbart hatte und der uns lange
zuhörte, während wir, immer lauter, auf ihn einredeten, bis er die Zeigefinger in seine dicht
behaarten Ohren bohrte und schrie:
„Haltet endlich die Klappe, Jungs, meint ihr vielleicht, ich h·ätte nicht längst kapiert, worauf das hinaus soll? Und weil ich euch und euren Duke kenne und der Kasten mir eh nicht
viel bringt, sollt ihr, god-damn, das Monster haben, und jetzt ab mit euch!"
Und dabei lachte es dröhnend, das Männlein, als hätte es uns eins ausgewischt. Egal.
Hatte uns das Schmuckstück geschenkt, und wir hatten unsere Orgel. Am anderen Morgen
bugsierten wir da verstaubte Stück quer durch das Lager und auf einem Handkarren zu
Billy, dem Möbelpolierer.
Als Billy das Instrument sah, schnalzte er mit der Zunge. ,,Rosenholz, Kinder, saubere
Arbeit, nur saumäßig verschrammt. Ein echter Jammer. Aber lasst mich nur machen, ich
krieg' das schon hin."
Und als wir uns mit einer Geste revanchierten und Daumen und Zeigefinger aufhoben
und gegeneinander rieben, lachte er: ,,Keine Bange, mache ich euch billig. Müsst mir nur
etwas Zeit lassen."
Und als wir nach zwei Wochen Billy wieder auf die Pelle rückten, war die Orgel fertig -
und glänzte wie ein Museumsstück. Richtig kostbar. Und als wir Billy Geld anboten, weigerte er sich, welches von uns zu nehmen.
„Seht lieber zu, wie ihr den Kasten nach Afrika schafft", sagte er, und damit ließ er uns
stehen. In der Tat, wie bekamen wir wohl das Ding übern Grassen Teich ins ferne Afrika?
Als wir sorgenvollen Herzens zum Bahntransportbüro stampften, um dem Bürochef
unsere Story vorzutragen, hörte der erst mit ernster Miene zu, verzog dann sein strenges
Beamtengesicht unter der Dienstmütze und grinste über beide Ohren.
,,OK, Jungs, bringt das Ding her, und ich will sehen, was sich machen lässt."
Wir brachten ihm die Orgel, und als wir Tage später wiederkamen, da stand das
Prachtstück bereits vernagelt in einer hohen Kiste. Und der Typ mit der Dienstmütze erklärte
uns, die würde von New Orleans aus verschifft, und die Transportkosten, nun, die würde er
uns morgen oder übermorgen mitteilen.
Zwei Tage später empfing er uns in der Tür seines Büros mit seinem breiten Lächeln
unter der Mütze.
„Jungs", sagte er, ,,der Preis für den Transport nach New Orleans und von dort nach
Nigeria beträgt genau 100,- Dollar. Aber ihr müsst ein wenig Geduld haben, das mit dem
Schiffstransport kann sechs Wochen dauern."
Wir tanzten vor Freude. Mann, das wär' geschafft! Wer hätte das gedacht!
Erst als wir abends in Jacks Schuppen zusammenhockten, beschlichen uns Zweifel, als
könnte an der Sache doch etwas faul sein. Ob uns der Transporttyp nicht aufs Kreuz gelegt
hatte? Mann, eine Orgel nach Afrika für 100,- Dollar. Das gab's doch nicht. Und Dukes
Ersparnisse wären am Ende zum Teufel? Aber eh wir Stunk machten, wollten wir noch
etwas abwarten. Wenn sich Duke nicht innerhalb von sechs Wochen meldete, konnten wir
immer noch was unternehmen.
In der sechsten Woche aber stürzte Joe mit einem Luftpostbrief in unseren Schuppen.
„Seht her. Duke hat wieder geschrieben." Und heraus fiel ein Polaroidfoto und darauf war
eine Orgel zu sehen. Prachtvoll poliert stand sie neben dem Altartisch. Wir erkannten sie
sofort. Sie war's! Und doch war es unglaublich! An dem Abend saßen wir länger als sonst
an unserem Tisch. In Gedanken, jeder für sich. Und wir fragten uns, wie, wenn kein Wunder
geschehen war, dies überhaupt möglich sei. Hatte der lange Transport zu Land und über
See wirklich nur 100,- Dollar gekostet, oder sollte dieser Typ vom Bahnhof etwa? Aber wir
fanden keine Antwort darauf. Und so beschlossen wir, die Frage vom Tisch zu kehren und,
so schwer es auch fiel, einfach daran zu glauben, dass hier noch einmal ein echtes Wunder
geschehen war.