Vasile V. Poenaru

 

 

Das andere Rumänien

 

 

Es gibt einen geheimen Pfad zwischen Wien und Bukarest, der nur selten begangen wird und der - nicht nur im räumlichen Sinne - über seine gesamte Strecke allerlei tückische Krümmungen und Wendungen aufweist, da er strenggenommen in einer dem intuitiv ansprechenden Gang der Dinge übergeordneten Legende anfängt und in einer vorzüglich virtuell erschließbaren Subsektion der Wirklichkeit aufhört, die gerade für solcherlei Instanzen der Irrealität auf alle Fälle offengelassen wurde, als sich der oberste Boss aller Grenzengänger dem obersten Prinzip aller Grenzengänge zu Trotz das, was sei, aus Sicherheitsgründen halb privat und halb öffentlich beglaubigen ließ, um es von dem zu unterscheiden, was nicht sei. Weltenschmuggel wird das genannt.

Eine ganz kleine Völkerwanderung kam somit im Laufe der Jahre zustande, von der freilich mehrere Mitarbeiter des Statistikamtes ziemlich barsch meinten, es sei eigentlich eine ganz große Völkerwanderung, die übrigens in PowerPoint noch größer wirke. Viele kriegten Angst, als die Kunde davon in die breiteren Schichten der Öffentlichkeit drang, denn bald schon waren laut jüngsten Polizeiberichten bundesweit angesichts der möglicherweise ja unmittelbar bevorstehenden Wanderschuhkrise die Wanderschuhe ausverkauft worden.

Mancher rotweißroter Bergsteiger durfte von nun an nur mehr barfuß durch die Täler herumlaufen oder etwa den Dachstein wie den Traunstein höchstens noch per Hubschrauber „erklimmen“. Mancher wochenlang geplanter Ausflug wurde gezwungenermaßen verschoben, manche Festlichkeit, die bald zu Ehren österreichischer Vertikalität hätte stattfinden sollen, kurzerhand eingestellt. Die Patrioten des Grenzgebietes machten sich daran, das vielgeliebte Vaterland auf vielfacher Ebene zu verteidigen: physich, psychisch, geistig, emotional. Berg und Dom brauchten selbstredend durchgängige Überwachung. Es wurde Alarm geschlagen, es wurde das Prinzip der nestverschmutzenden Andersheit ausgerufen, mit Adleraugen nach Unflat Ausschau gehalten, unverzöglich mobil gemacht, zum Angriff getrommelt, die Nationalhymne angestimmt und natürlich auch gleich der Schuhmacher angerufen. Doch dessen Sekretärin winkte ab: „Geht nicht. Alle Hände voll zu tun.“

Dutzende Ethnologen mussten reichlich gestempelte Studien vorlegen, die bezeugten, dass, wenn schon neulich eine Völkerwanderung stattgefunden haben mochte, diese wohl mutmaßlich eher bescheiden ausgefallen sein müsse. Am innigsten Wesen der ureigenen österreichischen Identität habe sie jedenfalls kaum rütteln können, denn die liege tief in der stillen Vergangenheit der Vorväter begraben, die einst bekanntlich  auf absolut rechtschaffenen Pfaden mitteleuropäischer Ethnogenese hergewandert seien: als musikalisch und architektonisch begabte Pfadfinder. Die Römer hingegen seien einst mit Gewalt ins heutige Rumänien eingfallen, weswegen die Ethnogenese der Rumänen auch viel mit sochen lateinischen Sprüchen wie Fortuna brevis zu tun habe. Auf der anderen Seite aber lassen sich ja Studenten in Österreich an der Uni inskribieren, und keineswegs etwa einschreiben. Alle kademischen Wege führen nach Rom – oder eben nach Bologna, wird nämlich den Studenten vom Vize-Rektor jedes Jahr höchstpersönlich mitgeteilt. Und dies sei erst der Anfang ihres Lateins.

Man atmete erleichtert auf: Also doch kein so großes Problem. Dass es sich ja strenggenommen wohl eher um einen imaginären Pfad handle, würden ohnehin ganz gewiss die meisten unwillkürlich schon zu dem Zeitpunkt vermutet haben, da sie zum ersten Mal von solch abwegigen, vorzüglich interdisziplinären Wanderungen hörten - wenn nur nicht gleich die Bestätigung von seiten der österreichisch-rumänischen Gesellschaft gekommen wäre: „Ein durchaus realer Pfad – aber eben nur nicht so oft begangen.“

Dieser geheime Pfad, stellte sich darauf im Rahmen der internationalen, pluriethnischen und multikulturellen Konferenz Wege in die Zukunft heraus, verläuft stets über Autostraßen, die nie fertiggestellt wurden, über Gedankenzüge, die nie zu Ende geführt, über Begriffskonglomerate, die nie erläutert, über Hoffnungen, die nie erfüllt, über Rechnungen, die nie beglichen wurden. Als die Wiener Erste Bank 2005 etwa die rumänische Banca Comerciala Romana verspeiste, war der Auftakt zu einer Osmose gegeben, die ihresgleichen sucht. Im Nu wehte die rotweißrote Flagge über jeden zweiten Rauchfang in der Vallachei wie in Siebenbürgen. Im Nu wurden auf dem Laufband Beträge gutgeschrieben und Überweisungen getätigt: eine Direktverbindung zwischen diesem Österreich und dem anderen Rumänien.

Wohin des Weges? Wie lustig ist es im grünen Wald? Wer braucht dem Kaiser keinen Zins zu geben? Warum steht die Kaiserloge leer da? Oder: Wie grün ist es auf der anderen Seite? Was für Schornsteine fegt ein rumänisch-österreischischer Schornsteinfeger? Noch besser: Wie schwarz ist der schwarze Mann? Warum unterrichtet er Englisch? Wie groß sein großer Sack? Was steckt drin?

Ein Ausschuss der EU-Kommission strebte zwei Wochen lang Tag und Nacht die möglichst sachliche Beantwortung dieser Fragen an, was aber angesichts der allgemeinen Ratlosigkeit sehr schwer fiel. Denn Tatsache und Gerücht erhoben gleichermaßen Anspruch auf das Gehör der strapazierten Ausschussmitglieder.

Gar manches von dem, was dabei zur Sprache kam, konnte allerdings nicht überzeugend genug belegt werden. Über die Anzahl der Räuber, Dealer, Schieber und weiterer Geschäftsleute zum Beispiel, die innerhalb der Union ungeniert herumlaufen (oder im Hummer bei Empfängen vorfahren) war man sich alles andere als einig. Fünfhundert? Fünftausend? Fünfhunderttausend? Ein über Carl Friedrich Gauß habilitierter Mathematiker, der seinen Lehrstuhl unvorsichtigerweise für eine kurze Weile leer gelassen hatte, um dem Ausschuss beizutreten, holte prompt einen altmodischen Taschenrechner hervor, vertiefte sich in allerlei Statistiken und Auktuariatsformeln und sagte schließlich mit der der angemessenen Würde einer runden Zahl, die dazu noch in der Mitte lag: „Fünftausend!“

Diese Zahl wurde unter anderem gleich von einem Dutzend Soziologen, Psychologen, Astrologen und Kriminalisten bestätigt, die dem Volksmund im Rahmen ihrer Ermittlungsarbeit allergrößte Bedeutung beimaßen, da die Leute auf der Straße ja immer am besten wissen, was sich so tut. Und in den späten Neunzigern ging jedenfalls bekanntlich in Deutschland wie in Österreich das Gerücht, fünftausend mit allen Wassern gewaschene rumänische Räuber liegen im Gehölz auf der Lauer (im Schwarzwald? im Harz? in der Ahnengau? im Buchenland?) und machen die Gegend unsicher. Jetzt gibt es fünftausend österreichische Unternehmen im Dickicht der Hauptstadt Bukarest, und ein Drittel der rumänischen Banken befindet sich fest in mehr oder weniger ausgiebiger österreichischer Hand.

„Was ist ein Dietrich gegen eine Aktie? Was ist der Raub einer Bank gegen die Gründung einer Bank? Was ist die Ermordung eines Mannes gegen die Anstellung eines Mannes?" Und um erst gar nicht irgendeinen Verdacht metaphorischer Polemiksucht aufkommen zu lassen: Das ist jetzt kein Wortgefecht, das ist Brecht: der Mann aus den schwarzen Wäldern. Und zwar ein Brecht aus dem Jahre 1928 - ein Jahr vor dem schwarzen Dienstag.

Echt: Was ist ein Dietrich gegen eine Aktie? Wo liegt heutzutage noch der Unterschied zwischen Transaktion und Gaunerei? Wem kleben die Scheine an den Fingern, wenn er die gierige Hand aus Ali Babas Höhle herauszieht? Mehrere profilierte Banditen, denen das Gesetz freilich nichts anhaben konnte, bequemten sich freundlicherweise nach Bruxelles, um die Geheimnise der Unterwelt zum Nutzen kommender Generationen und gegenwärtiger Ermittler zu lüften. Der Ausschuss tagte weiter und ließ die Drucker Hunderte Resolutionen ausspucken, wobei unentwegt nach schlichten, einleuchtenden Worten gerungen wurde. Wenn sich der Mann auf der Straße Fragen stellt, will er nämlich eine einfache, verbindliche Antwort.

Die artigen Banditen ermutigten ihre Mitmenschen, besonders in Zeiten erhöhter Turbulenz im regressiv schweizerischen Sinne nach schwarzen Schafen Ausschau zu halten. An der Wiener Börse zum Beispiel wurden 2008 laut der Tagespresse 100 Milliarden Euro „verpufft“. Sowei, so schlecht. Unmittelbar neben den lustigen Milliardchen habe aber die ganze Zeit ein dunkelhäutiger Rumäne mit einem großen rumänischen Sack gestanden („möglicherweise ein Zigeuner ohne gültige Aufenthaltsgenehmigung“, so die wichtigsten Börsenberichterstatter der wichtigsten Börsenpublikationen). Der Rumäne sah verdächtig aus. Sein Sack war wie gesagt groß. Grund und Gelegenheit zu einer möglicherweise begangenen Straftat lagen durchaus vor. Aber ob auch eine ausgeübt worden sein mochte? Vom Innenminister höchstpersönlich eingesezte Schäferhunde schnüffelten fleißig herum, während gutgebaute Verkehrsagenten an mehreren Straßenecken manneshohe Fragezeichen aufstellten, die freilich im Handumdrehen umgefahren wurden, da die meisten Fahrer mehr als nur im übertragenen Sinn daran Anstoß nahmen. Der Innenminister fluchte ein bisschen und schrie darauf ins erstbeste Mikrophon: "Einbrecher machen sich wie Heuschrecken über uns her, verdamt noch mal!"

Die Polizei jedoch, die nun ein bisschen vorsichtiger sein wollte, da sie gerade aus Versehen einen amerikanischen Lehrer verprügelt hatte, weil sie ihn wegen seiner nicht so hellen Hautfarbe für einen Dealer hielt, vermochte allerdings den von den besseren Zehntausend mehrfach geforderten eindeutigen Beweis einer zwar sehr stark vermuteten, doch gegebenenfalls doch nicht sozusagen hundertprozentig stattgefundenen Staftat zu erbringen, und auch die Identität des vermeintlichen Rumänen konnte nicht mit der in solchen Fällen bekanntlich von den Gerichten verlangten an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit festgestellt werden. Doch dass es sich um einen Rumänen handelte, daran schienen die wenigsten zu zweifeln, denn Mann und Sack hatten an und für sich so eine durch und durch rumänische Art und Weise. „Des muss a Rumäne gwesn san!“ verkündete aus einem sichtlichen Übermaß an Heimatliebe prompt wie inbrünstig ein allem Anschein nach recht volkskundiger Passant vor einem freilich etwas quietschenden Mikrophon, das zufälligerweise gerade an der Straßenecke lag. „Wos?“ fragte ein anderer. „A gottverdammta Rumäne!” brüllte der erste mit unetwegtem patriotischen Elan. „Alles weg! Hundert Milliarden Euro!“ keuchte eine gerade noch rechtzeitig hinzugekommene ältere Dame und deutete darauf mit dem Regenschirm auf einen prächtigen Regenbogen, der unter anderem natürlich auch das Rotgelbblau der rumänischen Flagge aufwies. „Da läuft er! Fasst den Dieb!”“

“Fasst den Dieb!” schrie auch ein gepflegt aussehender Herr mittleren Alters, bevor er gedämpft ins Handy weitersprach: „Verkaufen! Verkaufen! Verkaufen!“ Die Musik im Radio wurde plötzlich unterbrochen, und an ihrer Stelle erhallte die Unbehagen, nein, die geradezu Panik erregende Stimme der älteren Dame: „Da läuft er! Da läuft er! Da läuft er! Ka Rot-Weiß-Rot-Card!“

 Nicht nur funktionierte nämlich das zufällig herumliegende Mikrophon offensichtlich immer noch, sondern der Ausruf der älteren Dame wie die angesichts der neulich wieder einmal nicht vollkommen fremdenfreundlichen Leitartikel der Tageszeitungen mutmaßlich doch wenigstens so halbwegs gerechtfertigte Meinung des Mannes landeten aus Versehen direkt beim ORF. „A Rumäne!... A Rumäne!... A Rumäne!...“

Und wie es sich eben oft fügt, wurde das ganze drei Minuten später aus Versehen wieder ausgestrahlt und landete natürlich wieder – wo sonst? - auf der Straße. Viele Leute, darunter der nun gleichsam unbekannterweise berühmte Urheber dieser sozusagen wunderlich elektromagnetisch geflügelten Worte, steckten sie gedankenlos in den Mund und begannen im Chor pauschal auf die Rumänen loszuschimpfen, wobei der vom Magistrat umgehend entsprechend gepriesene Urheber der sogenannten Rumänenbeschimpfung, indem er sich sozusagen selbst zitierte, bei all dem gewissermaßen durch seine überdurchschittlich patriotische Geistesgegenwart verursachten volkstümlichen Tumult sich dessen gar nicht mehr bewusst war, der Urheber zu sein. Als dann das Honorar vom ORF kam, freute er sich freilich über alle Maßen, besonders weil es freundlicherweise in bar ausgezahlt wurde.

„Es könnte allerdings auch ein Tschetschene gewesen sein“, hieß es dann im hundertseitigen vertraulichen Polizeibericht, der trotz einer „unabdingbaren“ Verordnung des Innenministers gleich als Blog ins Netz gestellt wurde. „Die sehen nämlich alle genauso aus wie die Rumänen.“ Weiter unten hieß es freilich: „Und erst die Bulgaren!...Das heißt jetzt...Moment! Oder...Also Bulgaren sind ja eigentlich strenggenommen sowieso irgendwie Rumänen.“

Alle Blogleser im Internet Cafe mussten dem beistimmen. Und ein verhältnismäßig hagerer Schweizer, dem offensichtlich gerade ein Licht aufgegangen war, beäugelte vor einer Niederlassung der Ersten missmutig sein Saldo und sprach sich darauf in Anwesenheit mehrerer Schaulustigen den Kummer von der Seele: „Rumänen klauen wie die Raben. Hin ist die Kohle! Alles verpfutscht! Und wo hortet sich der Reichtum? In der Vallachei! Jawohl! Raben! Gauner! Halunken! Schmarotzer! Haben unser Gas abgezockt, unsere Täler verunsichert, unsere Tunnel verschmutzt. Essen unseren Käse. Trinken unser Wasser. Leben in geborgter Zeit.“

“Die das Gas abzocken, sind doch Ukrainer“, entgegnete ein Junge, der gerade die Nachrichten im Fernsehen gehört hatte. „Oder gar Russen.“ Der Schweizer jedoch wollte nichts davon wissen. Zwar seien ihm alle Menschen auf der Erde so lieb wie es auch immer nur geht, beteuerte er irgendwie automatisch, doch bleiben sollten sie ja am besten, wo sie sind - vor allem in solchen Zeiten. „Fast fünftausend Rumänen leben in den Kantonen. Essen unseren Käse! Jodeln in unseren Bergen! Verdunkeln unsere Tunnel. Lüften unsere Geheimnisse. Schrecken unsere Bankiere auf. Machen sich mit unserm Geld davon. Alles abgezogen. Da! In der Illustrierten: „Wir Schweizer sind ein leichtes Opfer.“ Nicht einmal Ceausescus Einlagen wollten sie uns lassen! Banditen! Machen sich mit ihren spottbilligen Autos bei uns breit! Dacia! Ha! Wollen den ganzen Markt zwischen Berg und Berg erobern.

In der Schweiz wie in Italien ist ja bereits die halbe Mafia in rumänischer Hand“, beteuerte er noch, bevor ihn ein befreundeter Konditor im rotweißen Dacia Logan zu einen überregionalen Süßigkeitenkongress fuhr, wo er freilich kalorienstrotzend weiter wetterte: “Hin! Verpfutscht! Fast fünftausend! Kein Bankgeheimnis mehr! Raben!“

Und dann schnürte er sich die mindestens zehn Jahre haltbaren transcarpathisch-alpinischen Bergschuhe an, die er auf dem schwarzen Markt erstanden hatte, und ging seines Weges. Wohin, verriet er nicht, denn Dienstreisen wollen geheim gehalten werden. Doch es führte ihn, wie ein Kollege vom Allgemeinen Club fröhlicher Wanderer und Flintenschießer deutschsprachiger Ausdrucksweise bald per SMS kundtat, über allerlei tückische Krümmungen und Wendungen in ein wahrhaftes Steuerparadies jenseits der Wälder, ein Paradies mit allerbilligsten Arbeitskräften und beträchtlich weniger Feiertagen als hier im Westen. Kurz, eine gute Sache für das Geschäft: „So will ich’s mir gefallen lassen!“ freute sich der Schweizer, und telefonierte mal schnell nach Wien. „So wollen wir’s uns alle gefallen lassen!“, jubelte auch sein Partner und Steuerberater. „Das nenn ich aber wirklich ein ordentliches Land! Mit fleißigen Leuten. Ein ganz anderes Rumänien ist das! Eins, wo man noch Profit schlagen kann. Frische Luft, rötliche Wangen.“

In Bukarest wurde er als erstes mal gleich einen Haufen Aktien los, die strenggenommen seit dem Crash an allen Börsen als abgeschrieben galten. Zum Glück aber waren die Rumänen immer noch scharf darauf, denn erstens ahnten ja die meisten gar nicht, dass sie sich da Seifenblasen einhandelten, und zweitens waren großzügigerweise von seiten der EU und des IMF extra für solche halsabschneiderischen Spekulationen Gelder zur Verfügung gestellt worden. Also wenn schon.

Ein paar Käselöcher wurden auch mal gleich mit verkauft, um die Verluste sonstwo wettzumachen. Als der Schweizer wieder  den Weg nach Wien antrat, klirrten die Münzen in seiner Hosentasche, und die Vöglein schwiegen im Walde. Als Mitglied der Herrenschießgruppe hatte er nämlich unterwegs Amsel, Drossel, Fink und Star (und die ganze Vogelschar) erlegt. Er ließ sich mit der Beute fotografieren und kaufte noch schnell Draculas Schloss, Bran, und dazu das königliche Schloss, Peleș.

Aus Bruxelles kam umgehend Lob für das neue EU-Land Rumänien – weil es das Hilfspaket der Union „prompt und sinnvoll im Zeichen der Erweiterung und Aufbesserung seines Finanzwesens unter Wahrnehmung einer breiten Auswahl vielverprechender Investitionsmöglichkeiten“ erschöpft hatte. Um während des Gasstreites zwischen den Russen und den Ukrainern nicht allzusehr zittern zu müssen, warf der Generalgouverneur der Notenbank die ohnehin wertlosen Papiere in den Kamin. Reformierung des Finanzwesens, wurde das genannt. An Nachschub sollte es nicht fehlen, denn ein sympathischer österreichischer Gelegenheitsphilosoph und stolzer Inhaber mehrerer Gesellschaften mit ganz besonders begrenzter Haftung belud seine fleißigen Esel mit faulen Papieren, darunter heruntergekommene amerikanische Hypothekenfonds und trieb sie schleunigst den geheimen Pfad entlang. „In Bukarest blüht das Geschäft weiterhin!“ trugen die Fachzeitschriften die gute Nachricht in die liebe weite Welt. „Die Wirtschaftskrise kann den Rumänen nichts anhaben!“

 Daran sollten sich die Bulgaren ein Beispiel nehmen, hieß es noch. Rumänien schrecke vor keinem Investitionsrisiko zurück. Aus Bruxelles stellten sich erfreulicherweise auch pünktlichst die zusätzlichen Lastwagen mit lustigen Euro ein - denn irgendwer musste ja schließlich für die Hypotheken-Schlamasse in Amerika zahlen. Lief übrigens alles auf Kommisionsbasis. Wenigstens ein paar Rumänen hatten es folglich äußerst gut.

Von einer rumänischen Volkswirtschaft im eigentlichen Sinne könne man zwar natürlich nicht mehr ernsthaft sprechen, denn die wurde ja längst sozusagen auf dem globalen Altar des real-kapitalistischen Fortschritts geopfert, doch die in Rumänien verzeichneten Umsätze seien wirklich das Höchste der Gefühle, meinte ein überaus wichtiger Finanzberater vom Zentrum, der seine zum Teil von einem berühmten Fußball-Guru geförderten Seminare zum Thema Wirtschaftswunder im Wunderland gerne auf riesengroßen Stadien hielt. Der Begriff Konjunktur erscheine ihm in diesem Zusammenhang ganz bestimmt durchaus angebracht, so seine Chefsekretärin im Interview mit dem ORF. „Konjunktur angebracht!“, fasste es der frohe Reporter prompt zusammen. „Wirtschaftswunder im Wunderland!“

„Kaufen! Kaufen! Kaufen!“ brüllte ein führender Assistent des Guru immer wie besessen. Und die freilich ohnehin schon schwerverschuldete Menge erwiderte sein Gebrüll in absoluter Gefolgschaft und kaufte, was das Zeug hielt. „Kredite! Kredite! Kredite!“ ging es weiter. „Aufschwung und Einklang!“

Zwanzig Jahre Freiheit hieß das Symposium, zu dem der mehrfach staatlich ausgezeichnete Finanzberater einlud, der übrigens auch gleich die unwiderstehliche Gelegenheit wahrnahm, für sein leider zufälligerweise leider freilich gerade einmal wieder von Gläubigern heimgesuchtes MLM-Business (Pandora’s Box) zu werben.

„Gesundes Verbrauchervertrauen!“, so die Schlagzeilen diesseits wie jenseits der Karpaten. “Unwiderstehliche Gelegenheit!”, kam es aus dem Radio. Das Geld schien in Bukarest immer so schnell zur Hand zu sein. „Proaktiver Aufschwung!“, versuchte sich bald auch ein freilich eher zaghafter Nachwuchsdichter im Wirtschhaftsteil der Tageszeitung. „Wahrhafte Konjunktur für Börse und Gemüt.“

Hände wurden geschüttelt, Gläser geleert, Abkommen vereinbahrt, Zertifikate und Diplome erstellt. Die Rettungspakete flogen herum wie Schneebälle, obwohl es in Bruxelles schon lange nicht mehr geschneit hatte und die deutsche Bundeskanzlerin sogar amtlich feststellen ließ, dass die ganze Idee der Rettungspakete an sich Schnee von gestern sei, weil ja verschiedene Länder verschiedene Bedürfnisse haben. Das eine braucht Geld, das andere bloß ermutigende Worte.

Schließlich waren dann aber trotzdem erfreulicherweise letztendlich all die Milliardenlöcher im Wiener wie im Zürcher Käse schnell geflickt. Der geheime Pfad wurde asphaltiert, damit ihn bei Gelegenheit noch mehr Esel entlang trabben können. Das Defizit aber wollte natürlich niemand so richtig wahrhaben. Neue Schulden ließen nicht auf sich warten, und bald schon war ganz Rumänien wohlfeil. Ein stattlicher internationaler Drogenbaron und Boxer, der zum Glück gerade gut bei Kasse war, wollte gerne helfen. “Drogengelder zur Bankenrettung!“, frohlockten die Blätter. „Die Rumänen haben’s!“ Dreißig Maschinengewehre aus einem nicht so streng bewachten Waffenlager der rumänischen Streitkräfte wurden prompt von einem wegen der Dunkelheit nicht identifizierten Geschäftsmann in ein Land exportiert, wo man gerade gut bei Kasse war, und dreißig Sträflinge aus dem schönen österreichisch-rumänischen Gefängnis stimmten unter der Anleitung eines begnadigten Bankiers die Arie der Konjunktur an.

„Es ist ein gutes Land!“,  bekräftigte – im Auftrag mehrerer Handelskammern - der philosophierende Geschäftsmann und geschäftige Philosoph aus den Alpen, wann immer ihn wer fragte. „Ach wenn doch alle Ränder so gute Absatzmärkte bieten würden! Hurra Romania!“ Dabei zerknäuerte er jedes Mal ein längst entwertetes Wertpapier vom Zentrum und warf es elegant in den Rachen einer der Haie am Rande, die im dank der beschleunigten europäischen Verschuldungspolitik und der höchstwillkommenen Initiative des Drogenbarons stets reichlich mit Liquiditäten versorgten rumänischen Banksystem herum kreisten und gerne alles verschlungen, was in den klaren oder eben trüben Wassern der Rezession trieb, ob nun Fonds, Bonds, Aktien, Dietriche, Steine oder Wanderschuhe. Die Flossen der Haie dufteten nach Echt Kölnisch Wasser 4711.