SAID


 

ein nachmittag voller licht

 

ein nachmittag voller licht ein nachmittag voller licht - hat er keinen bewacher?
- das hat er immer abgelehnt.
- hat er denn keine angst?
bohrte étienne nach.
- in der akte steht nichts davon.
tabor beschleunigte seine schritte.
in den straßen wimmelte es um diese tageszeit von passanten.
- schalt dein handy aus.
- warum?
fragte étienne.
- weil ich es will.
dann ruhiger:
- das handy verrät unseren standort.
er gehorchte und fluchte stumm. um seine stimmung zu kaschieren, fragte er:
- warum haben wir nicht das auto genommen?
- ein auto ist viel zu auffällig.
- und, wenn wir in der dunkelheit gekommen wären?
- wir könnten ihn ja im schlaf überraschen.
- er soll mitbekommen, was mit ihm geschieht; so lautet mein befehl.
und schon bogen sie in eine sackgasse, beide hatten die hände in den hosentaschen; tabor hatte es angeordnet.
- das wird uns eine gelassenheit verleihen, die weniger verdächtig ist.
gleich am anfang der gasse stand ein kiosk mit zeitungen und tabak. kaum daß die
beiden vorbei waren, grüßte sie der verkäufer laut.
tabor kehrte zurück und kaufte zigaretten.
- jetzt weißt du, warum er keinen bewacher nötig hat. der zeitungsmann kennt hier jeden. zwei fremde fallen auf. kapiert?
ohne übergang suchte tabors stimme den befehlston.
- was auch immer geschieht, du tust nichts.
- und warum hast du mich überhaupt mitgenommen?
- du sollst mir deckung geben. ich hasse es, von hinten angefallen zu werden.
dann blieb er vor einer tür stehen.
- hier ist es. alles klar bei dir?
- ja. tabor drückte gegen die holztür, die sofort nachgab.
ein innenhof. in der mitte ein bassin. ein wasserhahn. rund um die mauer viele treppen, die in die zimmer hinaufführten. auf einer steinbank in der ecke saß eine frau mit einem etwa elfjährigen jungen. ohne aufzustehen, sagte sie:
- sie wollen zu ihm.

tabor nickte und prägte sich das gesicht ein.
volle lippen, fleischige nase. über den schwarzen augen dicke augenbrauen. auf der stirn vier winzige tätowierungen. tabor überlegte, ob sie eine bedeutung haben. doch sie stand auf und unterbrach seine gedanken.
- er ißt gerade, danach können sie zu ihm hinuntergehen in den keller.
der junge erhob sich, ging die treppe hinauf und kam mit zwei teegläsern auf einem ovalen tablett zurück. stumm hielt er das messingtablett vor die gäste. ohne zu zögern nahm tabor ein glas und dankte, étienne folgte seinem beispiel stumm. der junge legte das tablett auf die bank und setzte sich daneben.
betont freundlich fragte tabor:
- um diese zeit ißt er?
- er ißt nur einmal am tag eine schale reis mit joghurt.
während sie stehend tee tranken, wippte étienne von den fersen zu den zehen und
musterte tabor. vierschrötig und untersetzt. kräftige hände mit sparsamen gesten.
der junge stand auf, nahm den gästen die leeren teegläser ab, stellte sie auf das tablett und ging zum bassin. unter dem wasserhahn wusch er die gläser, das tablett und nahm sie
wieder die treppe hinauf.
tabor hielt die unterhaltung in gang, ohne die kleine frau aus den augen zu lassen.
- kommt er nie heraus?
- das licht blendet ihn.
- was macht er in diesem loch?
sie schaute tabor direkt ins auge - zum ersten mal.
- er betet.
- zu welchem gott denn? ich dachte, die zeiten sind vorbei.
der junge erschien wieder, ging nun eine treppe hinunter, die tabor und étienne nicht
aufgefallen war. als er mit der leeren schale herauskam, fing ihn seine mutter ab, legte ihm die hand auf den kopf und sagte:
- der junge bringt ihm das essen - sonst stören wir ihn nicht.
dann faßte sie ihn an der schulter und verschwand.
tabor warf einen blick in richtung seines komplizen, nickte und ging gemächlich die treppe hinunter in den keller.
étienne steckte die rechte hand in die hosentasche, fühlte die pistole und wippte auf den zehenspitzen.
draußen in der gasse schritten sie stumm nebeneinander. erst auf der hauptstraße begann tabor zu sprechen.
- im zimmer lag ein kleiner teppich nah dem fenster, darauf ein lichtstrahl. dort saß er
und betete. dabei bewegte er sich nach vorne und zurück, während er unverständliches murmelte. tabor räusperte sich.
- er stehe uns im wege. mehr sagte ich nicht, so lautete der befehl. er hörte mich - mit gesenktem blick, ohne jegliche regung -
er hat nicht einmal um sein leben gefleht.
tabor spuckte aus und blickte zu étienne; doch dieser zeigte keine reaktion.
- dann blickte er auf - zum ersten mal. um seine augen lag etwas zwischen einem lächeln und trauer.
er blieb stehen und zündete sich eine zigarette an. étienne blickte um sich und sah nichts verdächtiges.
- schließlich drehte er mir den rücken zu und betete mit den händen vor den augen -
als wäre ich nur dreck. da habe ich ihn erlöst.
er zog den rauch tief ein und ging weiter.
étienne versuchte mit tabor schritt zu halten.
- wie schaute er denn aus - ich kenne nur fotos.
- haarfarbe: weiß. farbe der augen: schwarz. nase: groß. gesicht: voll.
sie gingen weiter, stumm, bis zur haltstelle.
- weißt du, wann der bus kommt?
étienne wußte es.
- in vier minuten. und er schaute auf seine uhr.
als sie einstiegen, ging tabor voran. nachdem er die passagiere gemustert hatte, entschied er sich für die letzte reihe.
- da habe ich alles im visier.
er nahm einen platz am gang.
étienne saß am fenster und schaute hinaus, ein nachmittag voller licht.