SAAT DES ZORNS
Anna Politkowskaja gewidmet
Es ist dunkel und kalt, als wir abgeholt werden. Man verbietet uns, Mäntel oder Jacken anzuziehen. Wie Schwerverbrecher werden wir behandelt. Nicht einmal Schuhe dürfen wir tragen. Barfuß treiben
sie uns durch Alchasurowo, unseren Heimatort. Am Ende der Straße wartet ein russischer Armeelaster mit laufendem Motor. Er spuckt und hustet wie ein Lungenkranker. Die Räder strotzen vor Dreck. Es
ist roter Lehm. Seltsam, wo unsere Äcker seit Wochen staubtrocken sind.
Unter der geflickten Plane kauern wir zusammengepfercht auf einer Holzpritsche. Die Wachsoldaten halten sich an der Eisenstange fest. Es stinkt nach Tabak. Die Zigaretten glü- hen wie rote Sternchen
vor ihren Gesichtern. Sie lachen. Bestimmt haben sie es warm in ihren Wintermänteln und Stiefeln.
Ich nehm’ die Kleine da! … Die Rothaarige gehört mir! … Wie wärs mit uns beiden, kauka- sisches Rehlein?
Wenn bloß unsere Männer hier wären. Ohne sie sind wir verloren. Dreißig jungverheiratete Frauen, keine älter als neunzehn.
Wohin bringt ihr uns, ihr Dreckskerle? schreit meine Nachbarin.
Zum Verhör, du Miststück! bellt der Unteroffizier. Er grinst unter seiner Dienstmaske. Wir haben nichts verbrochen!
Halts Maul, Rebellenhure! Er spuckt sie an. Unsere Männer werden euch umbringen.
Er lacht: Eure Männer sind tot, Dummerchen.
Meine Nachbarin sackt in sich zusammen. Sie schluchzt. Vor einer Woche hat sie geheira- tet. Sie ist unsere jüngste. Unaufhörlich prasselt der Regen gegen die löchrige Abdeckplane. Der Laster rumpelt
ewig auf der zerbombten Landstraße dahin. Als er endlich hält, spüren wir unsere Hände und Beine nicht mehr. Sie sind lahm. Wir werden von der Ladefläche gestoßen und landen im Matsch. Roter Lehm.
Wir sind auf der Rinderfarm in Riswanowo. Hier fanden unsere Kämpfer Unterschlupf, bis die Russen einen von ihnen abfingen. Er schwieg, selbst als sie ihm ein Ohr abschnitten. Dann verhafteten sie
den Kolchosbauern. Ihn folterten sie richtig, und alles flog auf.
Sie treiben uns zum Stall. Der Geruch von frischem Heu strömt heraus. Die Rinder sind weg. Sie legen uns Stricke und Ketten um den Hals und hängen uns an die Stangen. Einige schreien. Wir zittern vor
Kälte. Meine Nachbarin brüllt.
Ein Russe bringt sie zum Schweigen.
Der Unteroffizier bückt sich zu meiner Nachbarin. Er reißt ihr die Kleider vom Leib und wälzt sich auf sie. Er zwängt sich von hinten zwischen ihre Schenkel. Mehrmals spuckt er in die Hand und
schmiert sich Speichel aufs Geschlecht.
Er ist Linkshänder.
Das gefällt dir, ha? keucht er. Ein richtiger russischer Hengst, statt deines tschetscheni- schen Gauls!
Als er kommt, grunzt er, das Dreckschwein. Mit großzügiger Geste lädt er die Wachsoldaten ein, es ihm gleichzutun. Einige fallen über sie her. Ein paar legen Hand an sich selbst an. Andere rauchen
und lachen.
Auf einen Schlag wird es still. Ein Offizier betritt den Stall. Der Unteroffizier erstattet Meldung. Es muss ein ranghoher Offizier sein, dass er so laut brüllt. Melde Operation Hühnerstall…
Still! befiehlt die Person. Es ist Deigar Dagschijew, Generalmajor der russischen Armee. Der Schlächter von Grosny. Verantwortlich für die Säuberungen. Unlängst verkündete er, es gäbe keinen
Unterschied zwischen tschetschenischen Partisanen und Mördern.
Er ist Sohn eines deutschen Lageroffiziers und einer Jüdin. Dagschijew heißen seine weiß- russischen Zieheltern. Sie haben den Jungen einem Aufseher abgekauft. Mit der Zeit begin- nen sie ihn wegen
seiner Herkunft zu hassen. Der Hass schlägt Wurzeln in ihm. Er trägt Früchte. Sie platzen und streuen den Samen. Die Saat des Zorns.
Still und selbstgefällig schreitet der General den Stall ab. Auf ein Kopfnicken des begleiten- den Politoffiziers bleibt er stehen und starrt mich an.
Nein! schreie ich, ich bin…, und beiße mir auf die Lippen. Schwanger? grinst er. Sein Ton, ruhig und höflich. Von wem? Ich drehe den Kopf zur Seite und schweige.
Er tritt so nah an mich heran, dass ich seinen Atem rieche.
Also, von wem? fragt er nochmals. Sein Lederhandschuh gleitet über mein Gesicht. Er stinkt nach Schweiß und Öl.
Langsam fährt er mir in den Mund und zieht meine Zunge heraus.
Sag schon, von wem, Hübsche, grinst er. Blitzschnell schnappe ich zu. Im selben Moment trifft mich ein Schlag in den Magen. Ich knicke ein.
Der General dreht mich auf den Rücken. Seine Hände trommeln auf meinem Bauch. Ich verliere das Bewusstsein, träume von meinem Mann.
Als ich erwache, liegt ein blutiger Klumpen zwischen meinen nackten Beinen. Ein winziger Finger zeigt auf mich. Ich bin gerade mal siebzehn.
Der Politoffizier steht hinter mir. Seine Stimme dröhnt.
Feiges Terroristenpack! Für jeden ermordeten Offizier wird eines von euch Weibern büßen. Am Ende werdet ihr eure Großeltern verfluchen, dass sie eure Eltern gezeugt haben. Er packt eine von uns und
zerrt sie hinter sich her. Es ist die Frau meines Bruders. Sie ver- sucht sich zu wehren. Er schleift sie aus dem Stall. Wenig später hören wir Schreie.
So schreit kein Mensch. So brüllt ein Tier, das geschlachtet wird.
Nach einer Stunde bringt man sie zurück. Ihre Kleider sind zerfetzt. Sie hält die Augen geschlossen und versteckt ihr Gesicht hinter den Händen. Sie liegt am Boden und windet sich. Kein Laut dringt
über ihre blutigen Lippen. Wir versuchen mit ihr zu reden, aber sie ant- wortet nicht.
Ein Soldat mäht eine Garbe über unsere Köpfe hinweg. Maul halten, verdammte Hurenbande. Sie wird nicht reden.
Er streckt die Zunge heraus und zieht den Zeigefinger wie ein Messer darüber.
Einige von uns schreien. Meine Nachbarin fängt an zu singen. Sie spreizt die Beine, lacht und wimmert. Wie eine läufige Hündin winselt sie.
Ja, ja…, schreit sie unentwegt und verlangt nach dem Unteroffizier.
Hat dir wohl gefallen, kleines Luder, ha? Er öffnet den Hosenschlitz und hält ihr sein Geschlecht vors Gesicht.
Da, willst’ noch mal dran schnuppern, Schlampe? Sie schnappt zu und zerrt an der Kette.
Er stöhnt und grinst. Plötzlich schreit er wie ein Wahnsinniger. Er stürzt, greift ins Leere. Entgeistert glotzt er auf ihren Mund. Sie schluckt etwas hinunter. Zitternd langt seine Linke
zur Pistolentasche. Er zieht die Waffe und steckt ihr den Lauf in den Mund. Als er abdrückt, lächelt sie. Drei Schüsse fallen. Das Geräusch klingt eigenartig. Wie das Heulen eines Wolfes. Er
schleicht um unseren Aul und hat die Tollwut.
Der Unteroffizier brüllt. Er verbirgt sein Gesicht und sackt in sich zusammen. Die Pistole ent- gleitet ihm. Schnell erfasst meine Schwägerin die Situation. Sie angelt sich die Waffe und richtet sie
auf ihn. Er starrt sie an. Sie drückt ab.
Die Wachsoldaten schauen verdattert. Schnell, holt den General! schreit einer. Erschießt sie! ein anderer.
Meine Schwägerin kommt ihnen zuvor. Sie küsst den tollwütigen Wolf. Er heult kurz auf und beißt ihr ins Genick. Als die Soldaten das Feuer eröffnen, spürt sie nichts mehr. Zu viert lee- ren sie ihre
Magazine. Die Kalaschnikows rattern.
Sie glühen. Ihr Körper hüpft wie eine Puppe über den Strohboden, als wolle sie davonkrie- chen. Dann ist es totenstill.
Der General steht vor mir. Er sagt kein Wort und kettet mich los. Ich folge ihm ins Büro. Der Politoffizier hockt auf einem Stuhl, eine Zigarette im Mund. Hinter ihm zwei Fremde. Ausländer. Sie
beobachten mich. Im Raum befinden sich zwei Holzstühle, ein leerer Schreibtisch, ein verbeulter Stahlspind und ein Behandlungsstuhl mit Lederfesseln für Arme und Füße. An der Wand, ein riesiger
Spiegel.
Es klopft, eine weiß gekleidete Frau betritt den Raum. Der General schaut mich an und deu- tet auf den Untersuchungsstuhl.
Nimm Platz!
Wozu? frage ich.
Wir möchten sichergehen, dass du die Wahrheit sagst, mischt sich der Politoffizier ein. Er ist jung und sehr nervös. Aber der General respektiert ihn. Offenbar ist es sein Parteispitzel. Ich weiß
doch überhaupt nichts!
Das überlässt du schön uns. Und nun nimm endlich Platz.
Ich flehe ihn an: Bitte, General Dagschijew, fragen Sie mich etwas!
Der General dreht sich um. Mit hinter dem Rücken verschränkten Armen schreitet er zum Fenster. Draußen herrscht ein Tumult. Dutzende Lastwagen wühlen sich durch den Schlamm, Soldaten trampeln
herum.
Nun, wie heißt euer Scheich, junge Tschetschenin? Der General steht immer noch mit dem Rücken zu mir.
Ich weiß nicht, hoher Herr!
Du weißt nicht, wem euer Land gehört? schimpft der Aufpasser. Meinem Vater, Herr General. Besser, ich rede nur mit ihm.
Also ist dein Vater der Anführer der Rebellen?
Nein! Mein Vater ist alt… Weiter komme ich nicht. Ein junger Hauptmann stürmt herein. Drei goldene Sterne funkeln an seinen Schulterklappen. Er ist strohblond und hat hellblaue Augen. Ein
Tscherkesse!
Herr General, ich melde das Regiment Wladiwo… Er stockt. Der Politoffizier hat einen Finger auf seine Lippen gelegt.
Stärke? fragt der General knapp und dreht sich um. Sechshundert Mann, mein Herr, davon …
Schon gut. Können Sie dividieren?
Der Hauptmann ist baff. Natürlich, Herr General, ich dachte, wir wurden zur Säuberung abkommandiert?
Säuberung? schnaubt Dagschijew. Sehen Sie hier was Dreckiges im Raum? Absichtlich
schaut er zu mir.
Der junge Offizier stutzt. Mein Herr, der Befehl lautete …
Mein Junge, lächelt der General milde, wir haben dreißig Tschetscheninnen hier, Sie sechs- hundert Mann. Worauf warten Sie? Dividieren Sie!
Der Regimentsoffizier scheint nicht recht zu verstehen. Sie haben zwei Tage Zeit.
Wofür, Herr General? Sechshundert durch dreißig …, er zögert.
Verdammt! Hören sie mir überhaupt zu? schreit der General. Die Narbe auf seiner Wange bebt.
Ja natürlich, Herr General! gibt der Hauptmann kleinlaut zu verstehen. Er schaut mit seinen eisblauen Augen ungläubig drein.
Sie sollen nicht sechshundert durch dreißig dividieren. Im Gegenteil! Teilen Sie die dreißig Weiber mit ihren sechshundert Mann. Dividieren Sie die Rebellenhuren, bis nichts mehr davon übrig bleibt.
Haben Sie endlich verstanden?
Jawohl, Genosse General! Ein Lächeln huscht über das Gesicht des Tscherkessen. Auf ein- mal wirkt er sicher.
Na also! Hiermit übergebe ich Ihnen das Kommando über eine Division. Der Hauptmann salutiert und vollzieht eine Kehrtwendung.
Der General setzt sich hinter den Schreibtisch und zündet sich eine Zigarre an. Das Streichholz wirft er dem Politoffizier vor die Füße.
Was schlagen Sie vor, Herr Parteigenosse? Wir beginnen mit der Untersuchung!
Hastig mische ich mich ein. Herr General, ich schwöre, mein Vater hat wirklich nichts damit zu tun!
Womit?
Mit der Revolution!
Sag mal, Kleine, spinnst du eigentlich? Wie nennst du den Krieg, den euer Partisanenpack führt? Revolution? Wo hast du das gelernt?
In der Religionsschule, Herr.
Und euer Lehrer, wo ging der zur Schule? In Afghanistan? Nein, sag nichts, du bist wirklich jung und dumm! Kein Wunder, welche Frau wird heute mit siebzehn noch schwanger?
Ich war sechzehn …
Schweig, blöde Kuh! Er packt mich am Arm. Zusammen mit der Ärztin zerrt er mich zum Untersuchungsstuhl. Sie heben mich hoch und schnallen mich an. Ich leiste keinen Widerstand. Zu zweit zurren sie
die Ledergurte fest. Meine Hände und Beine werden taub. Fangen Sie mit der Untersuchung an, Genossin. Holen Sie alles aus ihr heraus. Haben Sie verstanden? Alles!
Der General, der Politoffizier und die beiden Fremden gehen hinaus. Ich zittere.
Brauchst keine Angst zu haben, Kleines. Es tut nicht weh. Musst nur reden! Sie lacht. Ich kenne dieses Lachen.
Bestimmt lügt sie.
Bitte Frau Doktor, worüber? Ich flehe sie an. Verschonen Sie mich.
Sie lächelt. Zugleich zieht sie ein Tischchen unter dem Stuhl hervor. Metallinstrumente lie- gen darauf, blitzblank.
Messer, Zangen, Scheren … Sie zerschneidet mein Kleid. Nackt und mit gespreizten Beinen liege ich da. Dann stülpt sie sich Gummihandschuhe über und fährt mir in den
Unterleib. Ich spüre, wie zwei Plastikwürmer in mich hineinkriechen.
Was haben wir denn da? grinst sie. Du weißt, wonach wir suchen? Dabei blickt sie in den Spiegel. Ich weiß, wir werden beobachtet. Mein Vater hat mir erzählt, wie die Russen es anstellen, dass man
redet.
Bitte, ich weiß nichts, wirklich. Ich bin unschuldig.
Du lügst, kleine Schlampe. Deine Unschuld hast du längst verloren. Immer tiefer stochert sie herum, um mir weh zu tun.
Ich kann doch nichts dafür, dass unsere Männer Krieg führen.
Du brauchst uns bloß einen einzigen Namen zu verraten: Wie heißt euer Scheich? Demonstrativ hebt sie eine riesige Zange. Als sie mir damit zwischen die Beine fährt, zucke ich zusammen. Ich hol‘ dir
die Gebärmutter raus, wenn du weiterhin schweigst.
Reißen Sie mir das Herz heraus. Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen, Genossin. Na warte, du stures Kamel, dir zeig ich’s! Ich schneid dir den Kitzler weg.
In dem Moment betritt der General den Raum. Er nickt und schnippt mit den Fingern. Das erinnert mich an den Zauberer, der vor Jahren in unser Dorf kam. Wenn er schnippte, zog er eine Münze aus dem
Ohr.
Die Ärztin nimmt ein Messer zur Hand. Überleg es dir! Danach verspürst du keine Lust mehr mit den Männern.
Meine Lippen beginnen zu beben. Kein Wort, kein Schrei. Ich schließe die Augen und spüre, wie es geschieht.
Eigenartig, so fühlt sich ein Bienenstich an. Als Kinder haben wir gelernt, dass man den Schmerz nicht spürt, wenn man
wegsieht. Also lasse ich meine Augen geschlossen.
Die Ärztin schlägt mir ins Gesicht, weil ich kein Zeichen von mir gebe. Es hat keinen Sinn, Genosse General, seufzt sie. Was nun?
Wir werfen sie den Schweinen zum Fraß vor. Er grinst sein teuflisches Grinsen. Verarzten Sie die Frau. Sie soll auf keinen Fall bluten. Schweine mögen kein Blut.
Ich habe das Zeitgefühl verloren. Die Doktorin nestelt an mir herum. Ich spüre, wie alles taub wird. Eine Weile schlafe ich. Plötzlich werden die Fesselriemen gelöst. Der Politoffizier reißt mich vom
Stuhl. Er zerrt mich in den Stall. Dort geht es zu wie im Tollhaus. Die Soldaten feuern sich an. Sie brüllen, lachen und klatschen, ehe sie sich mit den Frauen ablösen.
Der Politoffizier hängt mich an die Kette. Hier, noch eine.
Ich schließe die Augen, denke an meinen Mann und spüre nichts mehr. Stocksteif lasse ich es zu, schweige. Mit Hieben und Fußtritten versuchen sie, mich zum Stöhnen zu bringen. Irgendeiner will mich
von hinten nehmen. Da schlage ich aus. Er schreit und flucht. Ich spüre, wie der Riemen einer Peitsche über meinen Rücken schnalzt. Wie Küsse, denke ich. Nur die Augen geschlossen halten! Mir wird
übel. Mein Mageninhalt ergießt sich über einen jungen Soldaten. Ich lächle und locke ihn mit dem Zeigefinger. Komm Junge, bitte hilf mir. Er wendet sich ab.
Halts Maul, du Drecksau! brüllt mich ein anderer an, und sein Gewehrkolben saust auf mich herab. Es wird finster.
Mir kommt vor, ich träume. Als ich zu mir komme, merke ich, dass ich gehalten werde. Der junge Soldat ist zurück.
Seine Bewegungen sind vorsichtig, seine Hände zärtlich. Er schaukelt mich wie ein Kind. Ich liebe dich! Er flüstert es mir immer wieder ins Ohr.
Ja, ja, nicke ich und wehre mich nicht. Er muss verrückt sein.
Wie heißt du, tapferer Soldat? flüstere ich. Dshatak, antwortet er. Ich bin aus Inguschetien. Du bist Ingusche?
Meine Großmutter arbeitete im Lazarett. Sie ist Tschetschenin, wie du. Kannst du mir helfen?
Keine Angst! Ich bring dich hier raus und heirate dich. Wie willst du das anstellen? Ich bin Witwe und halbtot. Keine Sorge, das schaff ich schon.
Habt ihr Handgranaten? Ich brauche Draht und jede Menge Handgranaten. Wofür? zischt er.
Vertrau mir. Es ist ein Geschenk.
Ich bring dir alles, aber stell dich tot. Die denken, du bist krepiert. Worauf wartest du?
Er löst sich sanft und geht. Nach kurzer Zeit kommt er zurück.
Ich hab dir einen Anorak mitgebracht. Nervös streift er mir die Uniformjacke über. Sie ist viel zu groß für mich.
In den Taschen sind zehn Handgranaten und der Draht. Wozu … Keine Angst, ich will sie nur eintauschen.
Wofür?
Für mein Leben. Und jetzt bring mich hier raus.
Während er mich loskettet, drehe ich eine Schlaufe in den Draht. Dann trägt er mich auf den Gang hinaus. Aus dem Raum am Ende des Hauses dringt Gegröle. Er setzt mich ab. Ich schubse ihn weg.
Geh endlich, sonst kommst du noch zu spät zu unserer Hochzeit.
Langsam hinke ich den Gang entlang, eine Hand an der Wand. Der Lärm nimmt zu. Ich höre, wie sich die Russen über uns lustig machen. Wie nötig wir es von ihnen hätten, weil unsere Männer gegen sie
fielen.
Ich wickle den Draht um die Taille und verknote das Ende zu einer Reißleine. Vorsichtig ziehe ich die Splinte aus den Handgranaten und schiebe sie samt den Abzugsbügeln unter den Gürtel. Zuletzt
streife ich mir die Jacke über. An jeden Finger stecke ich einen Abzugsring. Zehn Eheringe. Der Einlass ins Paradies. Dann betrete ich den Saal. Eine Wodkaflasche fällt um. Der Lärm erlischt. Alle
starren mich an. Sie fangen an zu toben, bie- gen sich vor Lachen. Eine Tschetschenin in russischer Uniform! brüllt einer. So gefällst du mir, Kleine.
Willkommen bei den Föderalen Streitkräften. Ich stehe stramm, die Hände zu Fäusten geballt. Die Ringe geben Kraft. Der General springt auf. Ruhe! Haltet das Maul, sie will was sagen.
Ich blicke in die Runde. Dreißig Offiziere, lauter Verbrecher.
Was hast du uns zu sagen? stammelt Dagschijew, beide Hände auf den Tisch gestemmt. Weißt du jetzt den Namen eures Anführers? Er lallt. Sein Kopf wackelt.
Ja, es ist mir eingefallen. Entschuldigt, dass ich euch warten ließ.
Ich schlurfe auf ihn zu, öffne ruhig die Jacke und reiße an der Drahtschlinge. Klickend schnappen die Abzugsbügel auf. Die Handgranaten prasseln zu Boden.
Allah-u-akbar! schreie ich, ehe der tollwütige Wolf drauflosstürmt. Er heult wie verrückt und beißt zu. Blitzschnell.
(Auszug aus einer größeren Erzählung)
ROBERT BLUNDER
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