Handbrillant
Den Jusbura aus Tardraz, später auch unter anderem Namen bekannt, einen rauch- und rauschsüchtigen, in gewisser Weise jedoch noblen Alkoholiker, erkannten Mann und Kind und Frau in ganzer Stadt, neben der selbstständig im Mund paffenden Zigarre, an einem schwarzen Handschuh, den er nur rechtshändig, aber winters wie sommers trug und derart dem einen oder der anderen auf seinen abendlichen Spaziergängen jovial zuzuwinken pflegte. Die Fingerspitzen indes dieses ominösen Handschuhs fehlten aus gutem Grund; denn er war Schriftsteller.
Nach der Bewandtnis des einseitigen Kleidungsstücks gefragt, suchte er aufs Schnellste in seinem Gegenüber eine Abnormität zu entdecken, eine Glatze, Warze, lange oder schiefe Nase, einen Kropf, Bauch, Buckel oder Klumpfuß und als dessen unverwechselbares Zeichen vor aller gerade anwesender Welt zu benennen. „Sehen sie“, sagte er dann, „und das ist meine Macula!“ Dabei hob er die betuchte Rechte und ballte verkniffen grinsend die Faust.
Nur einige sehr nahe Freunde wussten den wahren Grund: ein übergroßes, fleischiges, lilafarben changierendes Muttermal in Form einer Kralle auf dem Handrücken. So war er geboren und war das Mal mitgewachsen. Gelitten hatte er unter schändlichen Spitznamen wie Krötenbastard, Geierklaue, bis ihm die Mutter einen schwarzen Handschuh anzog, aus dünnem Stoff und die Spitzen abschnitt, damit er unbehindert hantieren konnte. „Trag ihn immer“, hatte sie gesagt, „als dein Markenzeichen, wie Napoleon seinen Hut trug.“ Er hielt sich daran, bis zu jenem gruseligen Ereignis.
Im Laufe der Zeit war eine kleine Garderode von einzelnen fingerspitzenlosen Handbekleidern zusammengekommen. Alle schwarz, mal glänzend, mal matt, mal Seide, mal Gummi. Einige mit einer violetten Adlerkralle bestickt. – Seit eine ausgelassene Bande im Suff versucht hatte, ihm mit Gewalt den Handschuh auszuziehen, hatte er einen Verschluss am Handgelenk angebracht, den nur er zu öffnen verstand. Ein letztlich kaum mehr tragischer Fehler.
Durch seinen Roman ‚Brillant und Anthrazit‘, den einzigen, den er fertiggestellt hatte, fast ein Bestseller, in viele Sprachen übersetzt, war er für eine bestimmte Zeit zu einem ansehn- lichen Salär gekommen und hatte sogar Reserven anlegen können. Spötter und Neider nannten ihn bald, mal mit mal ohne Mister: ‚Handbrillant‘.
Etliche Versuche insgeheim einen Folgeroman zu Papier zu bringen, waren gescheitert. Mit dem Erstling hatte er das Reservoir seiner Fantasie völlig ausgelaugt und jeden Keim zu neuen dichterischen Blüten in gesellschaftssüchtigen Gelagen ertränkt. Verlage, die an ihn herantraten, ihn bedrängten, vertröstete er wieder und wieder ausredenreich: ‚Es brau- che seine Zeit‘.
Als er indes merkte, wie die Tantiemen dünner zu fließen begannen und das künftig zu erwartende monetäre Rinnsal den anspruchsvollen Unterhalt mit täglicher Verköstigung in Sternerestaurants und die 4-Zimmer-Wohnung in herrschaftlichem Haus und Viertel nicht mehr würden abdecken können, ja bald schon die Reserven anzubrechen wären, da sann er, in lichten Momenten zwischen zunehmend frühabendlichen bis spätnächtlichen Räuschen, der misslichen Lage seines Unvermögens zu entgehen.
‚Mich wieder wertvoll wissen‘- dachte er. Das ist der richtige erste Schritt einer Wende. In gewisser Weise war er es ja noch - wertvoll - durch ‚Brillant und Anthrazit‘, doch viel Zeit war vergangen. Die Verlage hatten es aufgegeben, ihn zu bedrängen.
In Erkenntnis der bevorstehenden Not wendete er Pegasus und sprengte unter Aufwendung letzter Kräfte von Treffen zu Treffen mit den Lektoren der großen Häuser im Aus- und im Inland: Er habe ein Folgewerk konzipiert, beteuerte er, stärker als das erste, lehrreich darüber hinaus, fügte er geheimnisvoll hinzu, mit Sicherheit ein ‚Bestseller‘. Titel geheim, Inhalt geheim, bis zur Fertigstellung in Kürze. Nur einige Seiten war er bereit vor- zulegen. Diese hatte er aus seinem Erstling mühsam zur Unkenntlichkeit variierend abge- schrieben. Reihenweise fielen sie darauf herein, die Herren Lektoren, besonders, als sie durch gezielt gestreute Indiskretionen erfuhren, dass auch Konkurrenz im Rennen war. Üppiger Vorschuss floss aus manchen Töpfen.
Das Unbehagen, das den unlauter erneuerten Reichtum begleitete und über dessen Verlauf und Verbleib Jusbura nicht nachdenken mochte, führte zu noch mehr edlem Tropfen Rotschild unter benebelndem Rauch kostbarer Zigarren in Glasröhrchen do Brasil. Die Nächte durchsabberte er mit wiedergekäutem Getöne über die Qualitäten von Tabak und Wein und natürlich von ‚Brillant und Anthrazit‘- von Bar zu Bar, im Gefolge eine Schar gieri- ger Gesellen, die ihn anhimmelten und die er, unfähig und unwillig alleine zu sein, wohl und übel aushielt.
Die Tage verschlief er, halb entkleidet in seiner zunehmend verwahrlosenden Nobelbehausung. In den seltener werdenden spätvormittägigen lichteren Momenten ver- fasste er weitere ‚Textproben‘ in gleicher Weise als geschredderte Exzerpte seines Erstlings, um allzu drängenden Verlagen wieder mal einen Knochen hinzuwerfen und wei- teres in den Wind geschossenes Vorgeld zu erheischen: Komplikationen hätten sich einge- stellt, so seine Ausflüchte, Recherchen seien erforderlich geworden, eine Reise notwendig und dazu anderweitige Verpflichtungen. – Trotz allem, jene jubelten, ob der baldigen Gewinne aus dem zu erwartenden Globalerfolg.
Da geschah es, dass, im Ruch seiner nächtlichen Begleiter und wechselnder Etablisse- ments, in denen das Vorgestreckte verfeiert wurde, das Gerücht aufkam, er, Handbrillant, sei ein heimlicher
Fetischist von Preziosen und trage, verborgen unter seinem schwarzen Hand-schuh, fünf der kostbarsten Brillanten, alles X-Karäter. Deshalb auch das geheime Schloss an seinem Handgelenk. Der Schlüssel
seines Erfolgs, so hieß es, seien diese fun- kelnden Steine besonderer Art und Farbe, die durch schwarzes Tuch abgeschirmt, durch Finger, Hand und Arm in sein Innerstes Mark und Hirn blitzten und ihn
so zu höchsten dich- terischen Ergüssen inspirierten.
Die Mär war leichtgläubig finsteren Gesellen zu Ohren gekommen, hatte Gier und Mordrio in Gang gesetzt. – Man fand Jusbura aus Tardraz, alias Handbrillant in seiner aus- gebrannten Wohnung. Der
verkohlten Leiche fehlte die rechte Hand.
HERMANN WENZEL
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