Marlies Birkle

 

Totalunfall

 

Die Mam, die hat in den letzten Tagen eh nix mehr mitgekriegt, und schon gar nicht,

dass ich abends abgehauen bin, seit Sonntag ist die nur noch in der Wohnung rumgeschlichen, wie die Chili nach ihrem Unfall, da war sie noch ganz klein, die Chili, wie se im Hof vom Hausmeister angefahren worden ist, von rückwärts aus der Garage. Mam

hat einen nicht mehr angeguckt, am Sonntag, so verquollen und verquetscht wie die

ausgesehen hat, als wär se auch überfahren worden. Ist die meiste Zeit aufm Sofa

rumgestrackt, mit Rollos unten, und manchmal hat se gar nicht mehr geatmet und

du denkst, dass se tot ist. Dann wird se wieder halbgar, hat aber immer noch keine

Ahnung, von gar nix, bis zum Mittwoch jedenfalls, aber ich, ich bin ja nicht blöd, hab

ihn fragrant gesehen, Mann oh Mann, will grad mein Fahrrad abstellen, neben dem

Freibad, bin an dem Tag nach der großen Pause weg, weil, die haben mein Turnschuh

aus der Tasche, hab‘s zuerst gar nicht mitgekriegt, wie die da, der Reichstein und der

Wimmer, wie die mit dem Schuh Ball gespielt haben und ihn überall rumgeschmissen,

sogar gegen die Tafel und am Schluss aus dem Fenster und die Bellinger ist unten

gestanden und der Schuh ist direkt über ihren Kopf geflogen, aber die ist nicht einmal

zusammengezuckt. Wie der Schuh im Wasser verschwunden ist, hab ich mordsmäßig

rumgeschrien, und der Reichstein hat zum Wimmer gesagt, gleich dreh ich dem Kurzen

die Gurgel zu und da bin ich noch mehr abgegangen und die alten Wichser, vor zwei

Jahren waren die noch kleiner als ich, haben nur gelacht, oberdumm gelacht. Ich bin

der Kleinste. Als in der siebten die anderen alle gewachsen sind, nur ich nicht, kein

Stück, da haben sie angefangen mich rumzustoßen. Das kommt alles vom Alten, weil

der so mickrig ist, keine einssiebzig, führt sich aber auf wie einsfünfundneunzig. Ich

also meinen Rucksack geschnappt und runter, hab mein Zeugs in den Spind geworfen,

als keiner geguckt hat und bin aufs Klo. Hab gewartet bis es läutet und alle rein sind,

dann ich raus, hab mir gemerkt, wo der reingefallen ist, der Schuh, so ziemlich mitten

drin, ich also mich bis auf die Unterhose ausgezogen, dann rein bis zum Bauch und alle

oben am Fenster, die haben geschrieen, gejohlt haben die und gepfiffen, so schrill, dass

mir schier die Ohren abgefallen sind. Als ich mit dem Kopf unter Wasser bin und mit

den Händen im Schlamm rumgegrapscht hab, da gab‘s wenigstens für kurz eine Ruh,

bis ich das Ding, was mal mein Turnschuh war, in die Finger gekriegt hab.

 

Bin heim, mir doch egal, andere schwindeln halt besser, gut warm war‘s, hab mir mein

Badzeug geschnappt und bin mit‘m Rad Richtung Freibad, will‘s an der Hecke abstellen,

da springt mir der durchs Gebüsch fast ins Gesicht, hab‘s hinknallen lassen, das

Rad, weil neben ihm, Mann oh Mann, so ein getigerter Bikini, der haut einen glatt um,

nix war an dem dran, nur so kleine, dünne Spaghetti-Träger und unten bloß so ein Dreieck

und nix aufm Arsch, ne Art Schnur zwischen den Pobacken. Einfach geil, so braune,

so superbraune Haut, dabei ist noch gar nicht lang Sommer. Hab auf ihre blutrot

lackierten Zehennägel gestarrt, hat ausgesehen ein bisschen wie Paulas alte Barbie.

Der hat nix gemerkt, der war nur auf die Tigertussi aus, hat versucht sie aufs Handtuch

zu werfen und auf sie draufzukommen, die alte Drecksau, und die Tigertuss hat gequietscht

und gelacht. Da bist du fertig, dein eigener Alter, echt krass, weil, daheim, da

ist der beschissen drauf. Dem langts ja schon, wenn ich zur Tür reinkomm, da legt der

los, ohne dass was war. Wegen nix, bloß weil ich da bin, fängt der an rumzustänkern.

Immer schlag ich die Tür zu und nie räum ich auf und immer sieht‘s im Bad aus und nie

mach ich, was er sagt undundund und spätestens dann stell ich auf Durchzug, wie der

von dumm und unfähig und nicht bereit, auch nur die geringste Anstrengung auf sich

zu nehmen weiterlabert, immer das gleiche Blablabla, Mamasöhnchen, Miezenheini,

Totalunfall. Wenn der mir dann noch mit der Paula kommt, krieg ich die Krise, echt.

Letztes Mal hab ich einen Stuhl aus dem Fenster gekickt, so einen von seiner Oma. Da

ist er ausgerastet. Musste machen, dass ich wegkam. Obwohl, der Stuhl ist noch nicht

mal richtig kaputt. Liegt jetzt im Keller rum, neben Chilis altem Platz. Beine geknickt

und so. Ich soll dafür sorgen, dass er repariert wird. Aber wie? Noch am nächsten Tag

hat der weitergemacht und ich hab bloß immer das Wort Enttäuschung gehört und

dass meine Schwester ja überhaupt ganz anders und viel besser und ich aus der Art

geschlagen und all so ein Dreck. Kann der mich nicht einfach mal in Frieden lassen.

Alle sind gegen mich, alle, außer der Mam. Aber wie der die platt macht, seit die Paula

nicht mehr da ist, die hat er ja nicht angelangt, aber einmal über die Mam drüber und

schon kann se kaum mehr aus ihren geschwollenen Schlitzen rausgucken. Überhaupt,

wie der Totalunfall sagt, in ‘nem Ton, da glaubst du, der zieht dir ne Rasierklinge über

die Haut. Die Mam, die kennt das, sitzt schon die ganze Zeit da wie ein Schluck Wasser

und wartet, dass er abgeht. Bei dem traut man sich ja gar nicht mehr, auch nur einen

Piep zu sagen und duckt sich automatisch weg, wenn man ihn nur hört. Er darf‘s nicht

merken, dass du ihm ausweichen willst, er könnte sich was dabei denken, aber du

bleibst voll auf Alarm, bis in die Haarspitzen, du wartest, dass der deine Tür aufreißt,

du willst dich erschießen lassen, dafür dass du nix hören musst, wenn‘s dann losgegangen

ist, du stopfst dir fünf Bettdecken um die Ohren und hoffst, dass die Mam noch

lebt, wenn du dich wieder raustraust.

 

Se kann doch nix dafür, für mich, mein ich, für den Totalausfall. Se sagt, das stimmt

nicht, du warst kein Unfall, aber mehr sagt se nicht, hallo, behandelt mich wie ein Baby,

ich werd im Winter sechzehn, aber hallo.

 

Was am Samstag war, weiß ich nicht, hab nur gehört, wie mein Alter fette Kuh zu Mam

gesagt hat, se hat geschwitzt, wie se die Einkaufstüten fünf Stock hoch geschleppt hat

und dann hat der Alte mich angemacht, weil ich ihr nicht geholfen hab. Der soll ganz

ruhig sein, der mit seiner Tigertuss, soll der doch sein blödes Maul halten, aber echt.

 

Und am Sonntag, da hat se mit ihm fort wollen, in ne Gartenwirtschaft, ich hab‘s genau

gehört, das hat ihm aber nicht gepasst, gar nicht hat ihm das in sein Konzept gepasst,

da hat er se sich kurz vorgenommen. War gar nicht so laut wie sonst, aber als er weg

war, da ist die Mam schlimmer als ne halbtote Katze hier rumgeirrt und hat aus der

Wäsche geguckt wie ne ganz tote. Wie meine Chili. Die hat nicht miaut, wenn ich se von

unten geholt hab. Als ob ses verstanden hätte. Hat einem in die Augen geguckt, echt,

hat mehr kapiert als ein Mensch. Den Alten, den hat se nicht riechen können, hat se

immer so blöd angelangt und nach dem Unfall mit‘m Finger in der Narbe rumgebohrt,

da hat se grauslich miaut. Hab se heimlich rausgelassen, der Alte war ja weg am Sonntag,

Gerberstraße, Ecke Olgastraße. Wie ich‘s rausgekriegt hab? Der Blödmann hat die

Adresse hinten ins Telefonbuch reingekritzelt, so bescheuert muss man erst mal sein,

aber die Mam, die kommt ja gar nicht auf so ne Idee. Hab also das Rad geholt, es war

schon fast Nacht, da hat die Chili angefangen Theater zu machen, se hat keine Ruh

gegeben und immer lauter miaut. Was hätt ich denn machen sollen. Dass se nachts

in den Keller muss, weil se auf seine Hose gepisst hat, dafür kann ich nix. Dabei hätt‘s

dem doch egal sein können, wenn se raus wär. Ist ne ganze Zeitlang neben meinem

Rad hergelaufen. Wollt doch bloß sehen, ob ich richtig geraten hab.

 

Die Chili also mit mir mit, hab kein Licht am Rad, waren keine zehn Minuten und dann

echt krass, unser Audi, ganz schwarz und verdellt ist der da direkt unter der Laterne

gestanden. Ich hab ihm die Wischerblätter hochgestellt und hab wieder den Abgang

gemacht. Daheim im Hof hab ich nach der Chili gerufen, hab se im Dunkeln gesucht,

am nächsten Tag auch, aber se hat sich nicht gezeigt. Ich am nächsten Abend wieder

raus, Mam schnarcht immer noch vor der Glotze und ich ab zu meim Alten und seiner

Tussi. Hätt mich beinah erwischt, ist nämlich grad um die Ecke gebogen, da musst ich

machen, dass ich wegkam. Die Tussi hatte so Stöckel, so hohe, rote Stöckeldinger an

und er hat sie untern Arm genommen und dann sind sie rein. Zwei Minuten später ist

im dritten Stock das Licht angegangen, ich hab mit meiner Taschenlampe noch auf der

Klingel geschaut und da hat S. Gröger gestanden, vielleicht heißt sie Sandra oder so.

 

 

Ich zurück, aber keine Chili nirgends und am nächsten Morgen nicht und mittags, nach

der Schule, auch nicht. Immer hab ich daran denken müssen, wie se damals miaut

hat, derart hat die miaut, dass ich se im fünften Stock gehört hab. Bin runtergerast, ich

glaub, ich war in der sechsten, jetzt bin ich mit der achten fast fertig, hab die Tür aufgerissen

und dann die Chili. Wie die ausgesehen hat. Die war nicht mehr schwarz, sondern

rot, aber total. Das Fell von der Chili haben immer alle streicheln wollen, ganz seidig

hat sich das angefühlt, so schwarz, bis auf drei weiße Haare unterm Hals, das kommt

vom Mittelalter, hat Mam gesagt, da hat man alle schwarzen Katzen umgebracht, weil

se Unglück gebracht haben. So schlimm hab ich noch kein Katzenviech nicht gesehen.

Die hat geblutet wie ne Sau und es ist was aus der rausgehängt, das Gedärm, oder

sonstwas, pfui Deifel, alles so runtergeklappt, ich hab auf der Stelle gekotzt. Mam hat

se genommen, in ein Leintuch gewickelt, in den großen Einkaufskorb gesetzt und dann

sind wir mit der S-Bahn los, wir hätten den Audi vom Alten haben sollen, aber egal. Wir

rein zum Tierarzt, das Blut hat schon auf den Boden getropft und ich musste immer

mit einem Tempo nachwischen, eklig war das, absolut eklig. Dann sind wir durch das

Wartezimmer durch und haben so viel Blut verloren, dass alle oh je gesagt und uns

vorgelassen haben. Die Chili selber hat sich gar nicht mehr geregt und ich hab furchtbar

Angst gehabt, dass se schon gestorben war. Da hat‘s so gestunken, beim Tierarzt

im Wartezimmer, mir ist wieder schlecht geworden und fast hätt ich noch mal gekotzt.

Da waren ganz viele Leute da, mit Hunden, Katzen und Mäusen und sonstigem Zeugs,

manche Leute sind sogar gestanden, weil sie den Viechern auf ihren Stühlen Platz gemacht

haben. Die Mam war ganz weiß im Gesicht und hat versucht zu lächeln, aber sie

hat ausgesehen wie ein Clown, der gleich weint. Der Tierarzt hat auch oh je gesagt und

gleich jemanden angerufen. Aber uns hat er weggeschickt und gemeint, wir sollten se

spät abends abholen, wenn er se wieder zusammengeflickt hat. Damals, als se noch

so winzig war und der Hausmeister über se drüber ist, danach mein ich, da hab ich die

Chili zu mir ins Bett genommen, jede Nacht, und hab se wieder gesund gekriegt. Die

haben ihr das Fell am Bauch abrasiert und die Narbe war quer drüber, verdammt lang

war die. Hab mit der geredet, der alles erzählt, da ist es grad richtig blöd geworden, in

der Schule und daheim und überall. Scheißblöd. Alle haben auf mir rumgehackt, vor

allem der Wimmer und der Reichstein und die ganze Klasse hat‘s nachgemacht, sogar

die Bellinger, und die ist Lehrerin. Keiner hat gemerkt, wie ich mich angestrengt hab.

Schon gar nicht mein Alter. Hab der Chili nachts Salami gegeben und Leberwurst und

Käse und Quark und all so Zeugs.

 

Komisch war, dass die Chili nirgends mehr aufgetaucht ist. Wie vom Erdboden verschluckt.

Wenn ich sie anfangs nachts unter meine Decke genommen hab, hat sie sich

eng an mich gedrängt und geschnurrt. Mit der Chili im Bett hab ich wieder schlafen

können. Kaum ist die an meinem Oberschenkel gelegen, bin ich weggepennt. Gleich am

Montag als se in der Nacht vorher verschwunden war, hab ich bei den Leuten im Haus

geklingelt und sie gefragt. Die waren alle ziemlich nett. Haben sogar geholfen zu suchen.

Nur der Alte hat so dumm rumgegrinst, wenn ich von der Chili angefangen hab.

Am Mittwoch ist er schon um drei mittags heimgekommen. Hat sich mit eim Bier aufs

Sofa verzogen. War nur so ne Idee, das mit dem Garagenschlüssel und unserm Auto,

stehn ja noch andere Wagen drin. Das Blut und die Katzenhaare klebten noch auf dem

rechten Vorderreifen. Im großen Container hab ich se dann gefunden. Nicht mal in nen

Sack hat er se getan. Bin hoch, sofort in mein Zimmer, hab geflennt, alles vollgerotzt,

das Kopfkissen, die Bettdecke und das Betttuch. Wie ich ganz leer war, bin ich raus,

liegt die Mam aufm Sofa, er weg, ich denk, die beißt in die Lehne. Echt krass, wo der mit

der Tigertussi, bestimmt jetzt, in dem Moment, und ich hier mit der Mam, die wo sich

die Augen ausheult und mich so zusammengefaltet anguckt, da krieg ich so was von

den Hals voll, so was von viel, du glaubst es nicht. Ich mit meim tierischen Hass ins Internet,

ist ja gar nicht schwer, auf You Tube kannst dir‘s angucken, geht ganz einfach, in

so Filmchen zeigen se wie du‘s machen musst. Hab im Keller noch Grillanzünder vom

letzten Jahr rausgegraben. Drei Stück. Haben nicht mehr ganz taufrisch ausgesehen.

Hab nur zwei gebraucht. Du musst die Dinger auf die Vorderreifen legen, anzünden und

wegrennen, hast ungefähr vier Minuten Zeit. In so ner Gegend wie der Gerberstraße,

Ecke Olgastraße läuft eh keiner rum. Soll der doch der Mam mal erklären, was sein

Auto da gemacht hat.