J. Wolf Breiden

 

Jasmin

 

Der Duft von blühendem Jasmin,

den kein Parfüm, kein Öl, kein Inzens fangen kann,

der eine zarte Wolke schwebend den Vorübergehenden

einhüllend einlullt,

und Hafenteer und Katzenpisse und Fischgeruch –

den ganzen penetranten Drecksgestank,

der über allen Strassen liegt,

aus den Kanälen zieht,

mit seiner Lieblichkeit

verdrängt.

So wie die Liebe, die

im Augenblicke, da sie sich erfüllt,

die Mühsal unseres Lebens für kurze Zeit

vergessen macht, die Welt mit Blumen füllt,

so schwört der blühende Jasmin

Eros herauf

und Zärtlichkeit und Sehnsucht

und Geilheit auch,

die Sinne uns vernebelnd,

und wer vorübergeht, der geht mit angegriffenen Sinnen.

Gedankenbahnen werden umgeleitet bis

der Hafenteer und Aasgestank

und Motoröl und Auspuffgase

die Übermacht gewinnen

über zarte Blüten,

und Ärgernis und Leid in unserem Leben,

die langen Zeiten füllen

zwischen kurzen Lieben.

Der Duft von blühendem Jasmin

von goldengelben, schneeweißhellen Blütenkelchen,

Duftzerstäuber, Bienensirenen, honigsüß geschminkten Nutten,

die sich prostituieren im Unschuldsgewand.

Feingliederig gespreizte Spalten, begattungsoffen

und anbiedernd wie läufige Hündinnen

im kurzen Rausch Erfüllung suchend.

Rausch der Schönheit vor

der faltenreichen Erschlaffung,

der die Fülle folgt, die Frucht.

Aphrodite wandelt sich in Hera,

Schönheit in Mutterschaft,

Frauen gleich,

wenn den kurzen Sommern ihrer Mädchenblüte

die feiste Zeit der Frau und Mutter folgt.

Reproduktion des Lebens, Kampf

und Lust und Sucht und Fall,

Auswahl und Vermehrung,

Vernichtung und Tod.

Blüten des Jasmin,

Diamanten an den Stauden des Lebens,

weibliche Form und Vollendung,

aufblühend und vergehend im Zeitenraffer,

Feuerwerken gleich.