Walter Marflow

 

Der Buchwunsch

 

wollte sehen, ob es morgen noch da wäre und dann erst kaufen, nur, wenn es am abend

noch im fenster läge, denn ich wusste, der chirurg würde es kaufen, wenn er ahnte,

dass ich es haben wollte. Die buchhändlerin hatte mir den wink gegeben, sie kannte

Bruno seit längerem, er würde es morgen früh sofort für einen völlig überzogenen

preis kaufen bei der rotblondhaarigen buchhändlerin, weil er morgen frei hätte und

annehmen musste, dass ich das buch bereits gewittert, möglicherweise sogar schon

in der hand gehalten und darin geblättert oder daran geschnuppert hätte. Denn es war

eines von der sorte von büchern, das wusste Bruno, die ich bei gesundem verstand und

portemonnaie sofort erwerben musste.

 

Er konnte nicht ahnen, dass ich ihm diesmal, über die bande mit der verkäuferin spielend,

den vortritt lassen wollte. Obwohl, ja gerade weil ich annahm, dass Bruno es

kaufen wollte, da er nahezu täglich nach seiner blutigen arbeit in der klinik, diese buchhandlung aufsuchte, dass er mir um jeden preis zuvorkommen wollte mit dem erwerb

dieser unverschämt teuren antiquarischen erstausgabe. Aber obwohl es mir keineswegs

an finanziellen möglichkeiten fehlte, wie er fälschlich annahm (was ich wiederum

von der buchhändlerin wusste) legte ich es vorsichtig in die auslage zurück, von wo

es die platinblonde oder auch rotblonde buchhändlerin, die gleichzeitig am telefon mit

jemandem spanisch plauderte, mir schon unter nennung des preises gereicht hatte,

das alte buch.

 

Wenn sie spanisch sprach, ich weiß nicht, ob ich das schon erwähnt habe, war sie –

naja. Ich spürte in diesen spanischen momenten mein herz im halse zucken, links,

genau da, fassen Sie mal mit dem rücken der rechten hand dorthin, die carotis! Brachte

das fällige wort, die bestellung etwa nicht hervor, oder bestellte plötzlich in meinem

touristenspanisch, por favor; stand da und hörte hypnotisiert zu wie sie, die absolut

platin-, möglicherweise auch rotblonde spanisch ins telefon gurrte und lachte, deutlich

tiefer als im deutschen. Als wäre dort, eine gute terz tiefer, ihr wesen verwurzelt.

Als würde spanisch ihren charakter verändern, wurde sie zu einem südlich-temperamentvollen mezzosopran und ich bekam regelmäßig angst, wenn ich sie spanisch

sprechen hörte. Als hätte ich ein glühend-explosives weib vor mir, wie in dieser oper.

Spürte, sie würde mich im nächsten augenblick mir wegnehmen, mir selbst. Obwohl

sie nicht einmal zu mir sprach, sondern ins telefon, zu José, vermutlich, egal. Zum

glück . >ola, que tal, porque non vienes? – tienes la coche? Nada mas, nada< undsoweiter,

immer wieder von einem lachen gebrochen, pausenlos. Wie sie schließlich

ganz nahe an mir vorbei schwebte, noch immer weiter spanisch telefonierend mit dem

schnurlosen telefon zwischen hochgezogener schulter und schief geneigtem kopf, in

einem buch blätternd, sich nur gedankenkurz mir zuwandte, ein hauch von lächeln

meine haut streifte, und sie sich an mir vorbei hinunter beugte in die auslage, obwohl

ich gar nichts gesagt hatte. Noch gar keinen buchwunsch genannt hatte. Und dabei

fiel ihr haar manchmal auf meine hand, die ich irgendwo aufgestützt hatte, auf einem

rand, einer kante, einem buch. Ihr haar, das kühl war und duftete nach, ich erinnere

mich nicht mehr, wonach, und es traf mich, jetzt lachen Sie nicht, jedes mal wie ein

elektrischer – nun ja. Aber lassen wir das. Sie wusste sofort, was ich wollte. Ich meine,

welches werk. Sie hat diese irre intuition, dachte ich lange zeit, während ich jetzt

denke, es ist einfach berufsroutine gewesen, erfahrung, aber damals dachte ich, sie

kann mein herz (oder was auch immer) mit einem blick im brustkorb umdrehen und

dieses organ durch haut und rippen hindurch betrachten oder herausnehmen und auf

den tisch neben die kasse legen und, wenn sie nur will, meinen alten herzschlag völlig

stoppen, egal. Und ich ging manchmal ohne ein wort wieder hinaus, rannte die straße

hinunter zum gasthaus Atzinger, um dort allein an einem großen tisch ein schwarzes

weißbier zu trinken. Und musste dann wieder zurück, um mein organ einzusammeln

und abzuholen, so ungefähr, naja.

Ich konnte mir denken, dass Bruno auf das buch brannte, denn es entsprach genau

seinem beuteschema. Er kannte die buchhändlerin schon länger als ich, die rot- oder

platinblonde. Und schon des öfteren hatte er es auf ein buch abgesehen, auf das ich

am tag vor ihm, da ich nicht durch feste arbeitszeiten versklavt war, ein auge geworfen

und das ich mir hatte reservieren lassen, etwa die erstausgabe eines Kotzebue für 270

Euro, bei der vermutlich schwarzhaarigen buchhändlerin, übrigens, sodass Bruno , als

er nach dem Kotzebue griff, sofort scheiterte.

 

Was aber auch eine finte sein konnte. Mir war, wenn sie, die schwarz- oder platinhaarige,

das spanisch-telefonat beendet hatte und mein blut wieder ruhiger zirkulierte,

etwas seltsam vorgekommen. Ich blieb so lange, bis sie das telefonat beendet hatte.

Auch wenn sie manchmal an die kasse ging und den schnurlosen hörer zwischen kopf

und schulter klemmend ein buch für einen anderen kunden einpackte, in ihr spanisch

hinein den preis nannte, fragte „als geschenk oder normal?“ und das kleingeld herausgab.

Und dann laufend weiter spanisch sprach. Ich schnappte einige brocken auf.

Ich blieb einfach und sah mich weiter um. Nicht immer rannte ich zum Atzinger. Als

sie einmal, beim vorletzten mal so seltsam lächelte, die platinblonde, da kam mir der

allererste zarte verdacht. Die finte, die darin bestehen konnte, dass Bruno, der blendend

aussehende hals-nasen-ohren-chirurg nur so tat, als wäre er interessiert an alten

büchern, um mich zum übereiligen erwerb des werkes zu bewegen, das ich sonst,

ohne diese lust, ihm zuvor zu kommen, niemals erworben hätte! Abgekartet mit der

schwarzhaarigen oder rotblonden buchhändlerin, dass sie mir signalisieren würde,

er wäre auf dieses buch scharf und ich könne es reservieren, wenn ich nur wollte, gar

kein problem, sie würde es zurücklegen, damit er es nicht vor mir bekäme, aber in

wahrheit, in wahrheit – Kotzebue oder auch Schiller.

 

Vorüberschlendernd an den zeitungs- und tabakwarengeschäften und kleinen cafés

hinter der universität und an den antiquariaten, in denen es diese unendlich begehrten

seltenen bücher gab, dachte ich an die buchhändlerin und wie gut es war, dass ich

mit ihr über bande gegen Bruno spielen konnte. Wenn ich wusste, dass er dasselbe

buch begehren würde, konnte es geschehen, dass ich es zwanghaft kaufte und meinen

letzten cent dafür ausgab gegen monatsende, nur um es zu besitzen, aber es konnte

auch das gegenteil eintreten. Gerade die gewissheit, dass Bruno ein bestimmtes wert-

 

volles buch garantiert nehmen und seiner sammlung einverleiben wollte, konnte mich

in eisigem zweifel oder grübelnder selbsterforschung erstarren lassen. Der identische

vorgang konnte, je nach tagesverfassung, buchtitel oder sonnenstand völlig konträre

reaktionen in mir hervorrufen, lust oder erstarrung. Aber nicht mit diesem klassiker,

von dem hier die rede ist, einem musenalmanach von 1797, den ich an einem der letzten

freitage vor ostern entdeckt hatte; es herrschte dichtes schneetreiben, und man

musste seine nase an die fensterscheibe der buchhandlung pressen, um überhaupt

irgendetwas zu erkennen, an diesem freitagmorgen konnte ich alles ganz entspannt

Bruno überlassen. Ich stellte mir vor, dass er den musenalmanach noch am selben

abend oder spätestens samstagfrüh entdecken würde in dieser auslage der buchhandlung

hinter der universität und sich äußerst angespannt sowohl der verkäuferin als auch der frage näherte, ob ich es gekauft und – möglicherweise nur zum schein wieder zurückgesetzt hätte oder dachte, der Walter wird dieses buch schon gesehen haben, es aber nicht bezahlen können, weil er wieder mal einen finanziellen engpass hat.

 

Am samstagvormittag hatte Bruno niemals dienst und würde sich sofort bei öffnung

des buchladens drei nach neun hineinstürzen – am samstagnachmittag wäre die lage

entschieden. der schnee geschmolzen, die märzsonne würde in pfützen und schaufenstern

gleißen, kleine rinnsale an den straßenrändern quirlend entlanglaufen. Und ein zarter hauch von föhnwind, ozon, pheromonen oder was auch immer würde sich vermischen mit den letzten scheuen abgasen, welche die fahrzeugfilter noch zuließen, und die früher dieses typische großstadtflair geprägt hatten. Zusammen mit dem qualm der zigaretten und zigarillos, deren geruch uns noch monate oder jahre später an bestimmte gespräche, frauen und gelächter tief in den bars und kaschemmen erinnerte.

 

Ich würde an diesem samstagvormittag in der buchhandlung ganz locker vorbeischauen,

würde Bruno sehen mit dem buch in der hand, dem musenalmanach von 1797,

kostenpunkt etwa 400 Euro und ich könnte zum beispiel sagen, Bruno hallo, gratuliere.

Ich würde in seinen augen die freude blitzen sehen, dieses nur selten in seiner erstausgabe

angebotene werk offenbar ganz knapp vor mir – und würde die platinblonde

buchhändlerin im hintergrund lächeln sehen, zu mir lächeln und dann, ja dann: wieder

ihr haar auf meiner hand spüren. Ich hatte ohnehin nie die zeit gefunden, alle diese

bücher zu lesen, die ich aus der hand der platinblonden buchhändlerin empfangen

hatte; ich fragte mich sogar, ob sie überhaupt zum lesen gedacht und gemacht oder

nur narzisstische ausgeburt verlorener seelen waren, und hätte sicherlich auch diesen

schmöker nie gelesen, diese hunderte von seiten, die der chirurg, so gut kannte ich ihn

immerhin, wie ein braver schulbub unverzüglich zu lesen begänne, wenn er die tür

seines hauses und danach die tür seines zimmers hinter sich geschlossen hätte.

 

Tatsächlich kam er am samstag in der besagten buchhandlung, ich hatte sie kaum betreten,

mit dem klassiker auf mich zu und rief schon von weitem, ich könnte ihn

selbstverständlich haben, meinen geliebten Schiller und die verkäuferin lächelte Bruno platinblond an, nickte ihm zu, flüsterte etwas auf spanisch in sein geöffnetes

hemd hinein und nannte mir den doppelten preis. Ich kaufte.