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Jagdfieber
Pirschler liegt am Boden, die Zähne nach unten, taucht er ins grüne, grüne Gras und
beißt den Mund voll. Rundherum ist es still, die Treiber sind weg, sie jagen den
Pirschler nicht, weil Pirschler selbst ein Treiber ist, hier.
Die Treiber haben sich zusammengetan am Wochenende im Herbst, nur dieses
Jahres treffen sie sich, werfen sich in die Büsche und treiben sich auf die Fährte zu den
Hasen von drüben, machen sie wild und eines Tages.
So hofft sich Pirschler aus der Safari, und das Gras begrünt den Tag, auf den er
gewartet hat, es ist kein Vergnügen jetzt zu liegen, weil das Gras feucht ist von Blut.
Der Pirschler ist auf seiner Seite und hört, wie das Blut aus dem unteren Bauch
sickert. Er hat kein Tier erlegt, er selbst ist erlegt und stopft die Hand in den Bauch, daß
die Wunde geschlossen bleibt, und das Blut nicht über die Grenze sickert, es ist
Pirschlers Blut, herüben.
Der Pirschler ist ein guter Treiber, das ist bekannnt, und ein Treiber braucht keine
Waffe. Die Gemeinschaft der Treiber wählt einen Jäger, und das stellt sich heraus an
der Grenze.
Die Hasen sind Treiber mit dem Fell über den Ohren, die Hunde sind tot, sie haben
sich totgebissen an einem Tag allein, alle.
Keiner kann laufen wie der Pirschler, m Hasenfüßen, einen Fuchs gibt es nicht,
weder hier noch drüben. Pirschler hat den Vorsprung als Sieger gehabt, den er nicht
geltend macht, weil es seiner Art nicht entspricht, und der andere ist schwächer,
Pirschler ist ein Christ, aber im Krieg, er braucht eine Weile. Pirschler läuft nur deshalb
so gut, weil er Kugeln an Leibern gespürt hat, und Kugeln einschlagen gesehen hat,
erst in Tierleib, jetzt in Menschenleib, es war kein Unterschied, in Fetzen ist das Blut
aus dem Hautafter geschossen, den die Kugel eingeschlagen hat. Wer selbst ein Jäger
war, der weiß, was ein Gejagter ist. Pirschler hat immer gut geschossen, und keiner hat
zurückgeschossen.
Wohin sie laufen, die Kugel hat getroffen.
Am Wochenende nur in jenem Jahr, der Samstag war auserwählt, und am Freitag
schon hat Pirschler alles bereit gehabt. Zur Jagd gehört immer Grün, auch im Krieg.
Das Milttär behält den Brauch bei, und die Zivilen ziehen sich an, daß sie im Grün
untergehen. Die Regierung braucht Opfer, Jäger und Treiber sind Soldat.
Das gilt nur für den saftigen Sommer. Im Winter ist Pirschler zu Hause geblieben, der
Sommer kommt immer, und dann paßt er dazu. Vorher war er nie am Samstag zur
Jagd. Der Beruf war am Samstag an den Nagel gehängt, und der jägergrüne Anzug ist
für den Sonntag geblieben, den Pirschler zur Feier anzieht, wenn er Ehre zeigt für die
Opfer. Jetzt ist es Brauch geworden, gleich zu erschießen genau an der Grenze, und
davor und danach, sogar in der Nacht, die Schonzeit erliegt zur Schlacht. Die andern
sind über die Grenze gejagt, zu viele, und der schöne Wald ist erwacht, Flucht, Zuflucht
hinter den Bäumen; Weidmann sei achtsam! Pirschler ist achtsam, muß sich verteidigen,
und den Wald sauber halten, für die Regierung. Verhungerte Augen haben herübergespäht,
Pirschler zersetzt in Laub und Nadeln, selber hatten sie keine Zeit zum Tarnen.
Die Grenze ist ein Schutzstrich, aber Pirschler radiert ihn aus, er ist Weidmann des
Landes, täglich, wo sein Fuß hintritt. Keinen läßt er herüber, er hätt' nur das Netz
aufhalten müssen, und sie wären ihm hineingegangen, wie die blinden Hasen. Pirschler
ist nicht auf der Lauer gelegen, so deutlich war der Feind zu sehen. Drübenbleiben, hat
er geschrien im jägergrünen Anzug und später zur Waffe gegriffen. Sie kommen erst
recht herüber, und er läuft los und ballert wie das Militär, das in der Stadt aufräumt,
zwischen den Straßen, wenn Pirschler im Forstamt Bericht erstattet, das Netz ausleert
und einen Orden kassiert:
Eine Zeit später ist nichts herübergekommen, nur gewachsen, und das hat er
ausgerissen, die Kinder den Frauen aus dem Bauch, wenn sie in seinem Wald hockten
und still bleiben wollten, aber die Wehen ihr Schweigen verraten haben. Die Bälger hat
er an die Bäume gedroschen und den Frauen gesagt: So wird es Euch ergehen, Heil,
Weidmanns Heil, und sie sind davon gelaufen, die Nabelschnur so manche hinter sich
herziehend, den Balg totgeschleift, daß er sie daran gepackt hat, die Nachgeburt
herausgerissen und über die Köpfe zurückgeschleudert hat, dorthin, wo der Feind die
Frauen befruchtet hat. Sonst rührt Pirschler die Frauen nicht an, weil er selber eine hat.
Pirschler braucht keine Kinder, die Frauen hätten sowieso keine Milch, vorn Schock des
Treibers, der sich auf sie geworfen hat und geschwängert hat, und die Frucht braucht
hier keiner, von einer Frau, die das Rückgrat gebrochen hat, der Wald ist kein
Kinderheim, sofort erschlagen, es ist Krieg, und der jägergrüne Anzug wird nicht
angesabbert, in der letzt verbliebenen Ordnung. Die Frauen klappern mit den Wirbeln
zurück, was Pirschler nicht vermutet hätt', bei diesen zerrnöserten Rücken. So querschnittgelähmt kann keine sein, wie es später berichtet wird, Pirschler hat es selbst
gesehen, und hebt drei Finger zum Herz.
Jeder wird bei seiner Möglichkeit gepackt, die Männer haben Waffen, Gleiches mtt
Gleichem, Heil, Weidmanns Heil, deshalb ist es Frauenleib.
Bei einem Mann ist Pirschler anders, erbarmungslos, den schießt er zurück, und damtt
er nicht mit einer Kugel über die Grenze fällt, die ihm nicht gehört, greift Pirschler in das
Loch und taucht in das Fleisch, egal ob er blutig wird oder nicht, und stopft die Hand
hinein, bis er die Kugel hat, egal wie weit sie steckt und reißt sie mit dem Fleisch
heraus, auch wenn er Knochen bricht, starke Männerknochen, oder den Kopf aufschla-
gen muß, weil die Kugel im Gehirn sitzt. Es ist Pirschlers Kugel, und die Kugel ist nur
geborgt und im Krieg Mangelware, der andere denkt auch nicht anders, die austretende
Masse ist genauso grau.
Die Frau hat Pirschler zu Hause Gewehr und Kugel geputzt, sich beim Laden
erschossen. Pirschler hat sie ohne Pfarrer begraben, nicht im Wald, im eigenen Garten,
wo sie am Vortag noch gejätet hat. Der Pfarrer war reserviert für die Toten, die die
Grenze gehalten haben, mit Armen, bis sie weggeschossen, und Beinen, bis sie
ausgerissen waren. Die Predigt gibt Sinn. Der Pfarrer verspricht, daß er kommt, wenn
es Pirschler erwischt, und er wird auch die Frau nicht vergessen zu segnen.
Pirschler segnet sich selbst und holt die Kugel ihr aus dem Bauch, stopft sie zu und
setzt ihr das Kreuz auf den Kopf. Er putzt die Kugel und horcht in den Wald, es gibt
Waffenstillstand.
Im Frieden ist alles aus. Er streift durch den Wald, es gibt keine Grenze mehr, das
Land ist annektiert, dort ist es billiger. Pirschler geht durch den Wald zum Friseur, die
Haarfarbe nimmt er mit, dafür hat Pirschler gekämpft, daß der Unterschied verbleibt in
alle Ewigkeit.
Die Zeit macht alles heil, immer wieder, so etwas kann gar nicht passieren, daß sie
nicht über die Frau vergißt, und die Kugel verrostet und im Feuer schmilzt. Der Pfarrer
segnet jetzt die Frau, vor der sich Pirschler aufstellt und ihr Gesicht ist verwischt. Der
Schmerz ist vom Grauen beladen, das Leben geht weiter, heil. Diesseitige Frauen sind
Mangelware, und Pirschler denkt an eine von drüben und sucht eine Braut im
unterschiedenen Land, über die Grenze kommt keine herüber. Die Frau schält sich
zuerst aus dem Grab und wartet dort im richtigen Alter gerade auf Pirschler, der zum
Leben erwecken wird und vertreiben, die ins Gesicht geschriebene Trauer, wie sie die
Frau aus der Erinnerung schaffen muß, vergessen, Pirschler hat auch vergessen, es
war für alle schlimm und ein Ende, dem eines gesetzt werden muß. Die Braut läuft ihm
zu, sie erkennt ihn nicht, ihren Jäger, weil sie geächtet ist und nicht aufschlägt,
Pirschlers Gesicht, mit den Augen, der den Auswurf der Stummheit begafft und die
Schönste nimmt. Er führt sie durch den grünen Wald heim, in dem es still ist, es gibt
keine Tiere mehr; der Krieg hat sie verdaut. An der richtigen Stelle schreit sie laut auf
und heißt Pirschlerin.
Pirschler paßt auf sie auf, wie auf den Apfel der Sünde, denn das weiß er, weil sie in
Pirschlers Auge steckt und dort geschützt ist, in den wuchtigen Knochen unter den Brauen,
die schäumen, wenn die Frau auf ihm liegt, weil es Pirschler so beliebt, er ist ein
unterwürfiger Sieger. Die Frau ist unfruchtbar für den Wald und das Jägerhaus und das
Land, was Pirschler nicht begreifen will und schickt sie zum Arzt, der wieder tätig ist. Zur
Frau gehört ein Kind, damit ein jeder weiß, auch Pirschler ist Bürger, eine Potenz des
Staates. Der Arzt sagt, der Frau ist die Gebärmutter weg. Pirschler will es nicht glauben, die
ist doch jung, was hat sie gemacht und schaut selber nach. Nach und nach wird er
ausgelacht, ein Kriegsgewinnler ist er nicht, er hat ein Wrack nach Hause gebracht.
Die Frau hat bis jetzt nicht aufgeschaut, erst als er sie links liegen läßt, hat sie Zeit
zum Jäten und kratzt sich frei im Garten, wo das Holz verfault auf dem Kopf der Toten.
Pirschler ist ein guter Landesverteidiger, ein Huhn wird ihm geschenkt, in Frieden wird
kontrolliert geschlachtet, was erbeutet ist. Die Frau streut die Asche der Unfruchtbarkeit
auf den Schnee, daß es grünt, und Pirschler zieht den Darm aus dem Huhn und hält
den Magen in der Hand, er schleudert den Mist ins Feuer, die Frau sieht seinen
Schwung und erbricht in Erinnerung daran, man verhungert heute nicht, Pirschler will,
daß sie ißt.
Der Winter dauert lang in das Jägerhaus hinein, auf der Schattenseite des Waldes.
Zu Weihnachten bekommt er Lust aufs Jagen, wie jeder, der nicht sein eigenes Blut
geleckt hat. Es wird auch dieses Jahr nicht geschossen, das Wild ist rar. Pirschler
harscht, es ist kalt, seine Frau ist da. Sie schürt das Feuer und schweigt, kein Wort
versteht sie, zu dem was sie weiß, ist es das Gegenteil. Sie wartet und hockt im
Jägerhaus, in Seelenruhe, eines Tages.
Der Frühling schmilzt den Graus vor der Ausgeburt, die herausgerissen wurde im
Wald. Die Frau ergänzt Pirschlers Lust und treibt sich durch den Wald, zur Tarnung ein
Fell über den Ohren, daß Pirschler einen Hasen jagen kann. Sie ist ihm nicht schnell
genug, sie tauschen das Fell, und Pirschler schlägt sich davon in Haken, sie spielen
Wild, bis zur Vergasung. Die Frau ist verschwunden.
Pirschler durchsucht das Gebüsch, sein Vorsprung ist ungültig und kommt zur Stelle,
wo sie geboren hat. Der Säugling liegt über der damaligen Grenze, in den Bäumen, die
Nachgeburt hängt herunter, und der Balg ist verheddert in Ästen. Pirschler erbricht, es
war Krieg. Er ist ein anständiger Mann, und er würgt· den Balg hinunter, aber die
stinkenden Knorpel rührt er nicht an, er wirft die Erde auf, damit sich die Seele rettet.
Aus den Bäumen tritt die Frau, der ehemalige Feind, jetzt aber stark und bewaffnet und
nicht allein. Es war nur dreizehn Tage Krieg und Pirschler fleht, aber die Sprache
versteht sie nicht. Die Treiber sind im Gebüsch, die Frau schreit in Wehen, Pirschler
flüchtet, das Fell über den Ohren. Ein böser Schrei ist die Sprache, sie nagelt ihn fest,
Pirschler soll beten, die Frau packt ihn am Geschlecht, Pirsch,ler spuckt, sie will hinein,
sie greift in sein Loch, spannt es auf, fädelt das Geschlecht hinein und reißt ihm die
Hoden aus. Das ist ein Verbrechen! Pirschler spürt den eigenen Leib. Die Frau sitzt am
Feuer, sie verbindet die Wunde, er hat geträumt, wie es üblich ist im Fieber. Die Wunde
eitert, und Pirschler paßt auf, was die Frau tut, sie ist am Ende schuld, daß es eitert und
nicht narbt. Die Frau eröffnet ihm die Frucht seines Leibes, ihre Hand gräbt in Pirschlers
Darm, er scheißt sein Geschlecht aus, Pirschler beißt ins Gras, dann ist es still, und der
faule Säugling droht zu stürzen. Pirschler wartet im Blut und horcht auf die Treiber, bis
sie ihn finden und nach Hause tragen, er wird das Verbrechen zur Anzeige bringen,
inzwischen stinken die Augen, weidwund, und Pirschler schreit, Heil, Weidmanns Heil,
Heil, Heil.