.
'.
„Zwischen ihren Fingern verdichten sich Wege"
Über Moncef Wahaibi, Ouled Ahmed und Zahra Labidi
Tunesien war und ist im Vergleich zum Irak, zu Syrien
oder zu Ägypten kein Land der Dichter. Außer
Abu al-Qasim Shabbi, geb. 1909, der mit 25 Jahren
starb, ist es keinem tunesischen Schriftsteller gelungen,
sich außerhalb des Landes einen Namen zu
machen. Das liegt darin begründet, daß die tunesischen
Schriftsteller, mit Ausnahme von Shabbi,
nicht stark genug waren, um sich von überholten li-
terarischen Traditionen und Klischees befreien zu
können.
Erst Ende der Sechzigerjahre begann sich auch in
Tunesien die kulturelle Landschaft in allen Bereichen,
besonders aber in der Lyrik zu verändern.
Eine neue Generation von Schriftstellern und Lyrikern
war herangewachsen, die es wagte, die von der
traditionalistischen Kultur gesetzten Grenzen zu
überschreiten. Die neue Generation wurde beeinflußt
von den modernen Strömungen, die mit dem
Surrealismus und dem Nouveau Roman in Frankreich
aufgekommen waren. Sie fand bald Beachtung
in der Öffentlichkeit und der Literaturkritik, und dies
nicht nur im eigenen Land, sondern über die Grenzen
Tunesiens hinaus. Das Interesse galt nicht nur
ihren Themen, die sich größtenteils mit der gesell·
schaftlichen und politischen Situation des Landes
auseinandersetzten, es galt insbesondere der Sprache,
,einer Sprache aus Wasser und Feuer", wie sie
der tunesische Dichter Mohammed Ghozzi nannte,
einer Sprache, die sich von allen religiösen und
traditionellen Verknöcherungen befreit hatte.
*
Zu dieser Generation revoltierender, der Modeme
verpflichteter Schriftsteller und Dichter gehört Moncef
Wahaibi. 1949 im Hinterland von Kairouan, also
im Herzen Tunesiens geboren, lernte er wie die meisten
Beduinenkinder schon früh, den Koran teilweise
auswendig zu rezitieren. Daneben wurde seine
Phantasie durch Märchen, Mythen und Legenden
angeregt, die in langen Winternächten von den
Märchenerzählern am Lagerfeuer der Beduinen vorgetragen
wurden. Moncef Wahaibi begeisterte sich
für die klassischen und modernen arabischen Dichter,
aber auch für westliche Autoren wie Eluard, Aragon,
Majakowski, Walt Wittman usw. Mit knapp 20
Jahren hatte er bereits die Bedeutung einer neuen,
engagierten Lyrik begriffen. Die Stimme des aufbegehrenden
Beduinen Wahaibi begeisterte die demonstrierenden
Studenten zu Beginn der Siebzigerjahre
an der Universität Tunis.
Nach intensivem Studium der mystischen Dichter
des Islam wie Ibn Arabi al-Halladsch und Naffari und
nach der Bekanntschaft mit europäischen Dichtern,
vor allem Saint-John Perse, T. S. Eliot, Rainer Maria
Rilke, Georgis Seferis und Gunar Ekelof, schlug die
Lyrik Wahaibis Anfang der Achtzigerjahre eine andere
Richtung ein. Seither widmet sie sich vorwiegend
metaphysischen und mystischen Themen, wobei der
Akzent auf der Sprache und ihrem musikalischen
Vermögen liegt.
*
Ouled Ahmed, geboren 1955, ebenfalls Beduine,
hatte eine harte, unglückliche Kindheit ,unter giftigen
Schlangen und brutalen Schäfern" durchlitten,
wie er es selbst umschrieb. Nachdem er Anfang der
Achtzigerjahre nach Tunis gekommen war, gelang
es ihm, sich in kürzester Zeit einen Namen als Lyriker
zu machen. Die tragischen Ereignisse, die Tunesien
damals heimsuchten - blutige Zusammenstöße
der Sicherheitskräfte mit den Gewerkschaften 1978,
der Brotaufstand 1984 - hatten den jungen Beduinendichter
tief erschüttert und inspirierten ·ihn zu
kraftvollen Gedichten, aus welchen Zorn und Aufleh·
nung sprachen, aber auch zu Prosatexten von be·
achtlicher Aussagekraft. Ouled Ahmed wurde arbeitslos
und erlebte das damit verbundene Elend,
aber er gab nicht auf. Mit der rauhen Stimme eines
ausgehungerten Schäfers fuhr er fort, ,,die Mächtigen
des Bösen" zu attackieren. Sein Sarkasmus und
sein schwarzer Humor erregten den Zorn der Fundamentalisten.
Mehrere Male wurde er nachts verfolgt
und niedergeschlagen. Vor einigen Monaten wurde
Ouled Ahmed zum Direktor des .Hauses der Dichtung"
berufen. Er ist heute der engagierteste und populärste
Dichter des Landes.
*
Dunkelbraun wie die Wüste im Schatten einer Oase,
mit sanfter Stimme, in welcher der Akzent der Nordwestregion
Tunesiens anklingt, wo sie geboren wurde,
so könnte man die Lyrikerin Zohra Labidi beschreiben.
Jahrelang hat sie in den Bergdörfern als
Lehrerin gearbeitet. Dort, unter Kindern mit von Kälte
verfärbten Lippen und unter Bauern, vom Elend
gezeichnet, begann sie zu schreiben. Ihre ersten
Gedichte sind von Schmerz und Einsamkeit geprägt.
In einigen von ihnen kann man die Landschaft erkennen,
die ihre Schule umgibt, hört man den Wind,
der durch die tiefen Täler pfeift oder den Regen, der
auf zerbrochene Fensterscheiben prasselt. In anderen
erlebt man ein schmerzliches Warten. Das Warten
auf den geliebten Mann, auf die ferne Mutter, auf
Freunde, die ihren Briefen nicht antworten. Dieses
Warten durchzieht als Leitmotiv die meisten Gedichte
Zohra Labidis. Kein Wunder, denn die arabische
Frau wartet seit eh und je ... und dieses Warten wird
durch den Terror der fanatischen Fundamentalisten
umso schmerzlicher, je länger sie nicht müde werden,
dazu aufzurufen, die Frauen und ihre Dichtung
zum Schweigen zu bringen.