Alexej Moir

 


 

 

»Ich warte im Hinterhalt des Morgens«

             Auf der Suche nach dem Dichter Radovan Karadzic

 

 

Die Ohren hatten sie ihm vom Kopf getrennt und ins Gebüsch geworfen, und auch die Nase hatten sie ihm abgeschlagen - ein antiker Torso. Die Augen hatten sie nicht angerührt, vielleicht sollten sie zuletzt an die Reihe kommen. Taliano - hatten sie dazu in ihrer wunderlichen Bauernsprache geschrien, mit Stimmen voll Angst, Mitleid und verhaltener Trauer. Wie bei einem Stier oder Geißbock haben sie es gemacht. Die einen hielten ihn, die anderen zerschlugen ihm mit Stöcken und Steinen die Hoden. Dann nahmen sie sich die Fußsohlen vor, versengten sie und flüsterten mit zärtlicher Stimme unverständliche Worte. Dann rissen sie ihm die Nägel aus, fragten ihn etwas und fingen an zu weinen. Immerfort schauten sie auf die zerdrückte Taube zwischen seinen Beinen und schüttelten die Köpfe, daß die Tränen von ihren Wimpern fielen. Dann hörten sie auf, ihn zu schinden, sie waren erschöpft und naß von Tränen.

Mit dem selben Eifer, mit dem die monte­negrinischen Bauern das karge Gras auf den Bergwiesen mähen und ihre mageren Ziegen melken, bringen sie in dem Roman Der Krieg war besser von Miodrag Bulatovic auch ihre Feinde um. Detailverliebt und sezierfreudig über das erforderliche Maß hinaus steigern sie den bloßen Akt des Tötens zu einem atavistischen Ritual, das Täter und Opfer zwanghaft zu einer emotionalen »Gemein­schaft« zusammenschweißt. Dabei nehmen die Mörder an den Qualen des von ihnen Geschundenen intensiv Anteil, was sie jedoch nicht hindert, ihr als notwenig erachtetes Tun konsequent zu Ende zu führen.

Miodrag Bulatovic ist selbst Montenegriner. 1930 in dem kleinen Dorf Okladi bei Bijelo Polje geboren, lernte er erst mit sechzehn Lesen und Schreiben. Wie im Zeitraffertempo holte er die versäumte Schulbildung nach und studierte in Belgrad Philosophie und Psychologie, bevor er als Schriftsteller das uralte Thema seiner Heimat aufgriff: die Gewalt. Der jahrhundertelange Kampf gegen die Türken in diesem unzugänglichen Gebirgsland formte einen Menschenschlag, der bis in die Gegenwart sich den »ewigen Krieg« zur Lebensaufgabe gemacht hat. Wegen ihrer Unbeugsamkeit hielten sich die Montenegriner von jeher für die »echtesten« Serben. Widerstand gegen die osmanische Herrschaft flackerte immer wieder auf, auch wenn sich die Bauern des Tieflandes mit der fremden Macht zu arrangieren wußten. Deshalb gingen die »Unversöhnlichen« in die Berge, wo sie ihr Freiheitsideal am wirksamsten verteidigen konnten. Von der gesellschaftlichen Entwicklung im übrigen Europa isoliert, lebten sie in patriarchalisch geprägten Großsippen zusammen, in einer Art Bluts­gemeinschaft, die von der Annahme ausging, von einem gemeinsamen Urahn abzustammen. Jeder sei sein eigener Urgroßvater, heißt es von ihnen süffisant. Das historische Gedächtnis, oft mythisch verbrämt - nur allzugern werden die Taten der Vorfahren heroisiert - stülpt sich über das gegen­wärtige Handeln und fixiert es. Der zeitliche Abstand zur Vergangenheit ist aufgehoben. Die gleiche Unerbittlichkeit, mit der die patriarchalische zadruga den äußeren Feind bekämpft, richtet sich auch gegen die eigenen Mitglieder, wenn diese den strengen Sippenkodex verletzen. Die schlimmsten Verstöße werden nach dem Gesetz der Blutrache gesühnt.

Bis in die jüngste Zeit war in jeder Familie eine ununterbrochene Überlieferungskette von Kämpfen mit den muslimischen Brüdern lebendig. Aber höher als selbst die junastvo, die Heldentat, stand die Eigenschaft der Cojstvo, die heroische Mann­haftigkeit schlechthin. Junastvo ist, wenn man sich selbst gegen andere verteidigt, Cojstvo dagegen, wenn man andere vor sich schützt. Denn man weiß nur zu gut, daß man zwischen bedingungsloser Opferfreudigkeit und Habgier hin- und herschwankt. Hinter dem Pathos von Ruhm verbirgt sich oft Großmannssucht und der Hang zum Trivialen. Vielleicht ist es die Enge des Raumes - Montenegro ist kleiner als Schleswig-Holstein -, die diese Gegen­sätze so unversöhnlich aufeinanderprallen läßt. Nicht einmal dem Toten gönnt man den Platz, seine Beine auszustrecken. Milovan Djilas, der bis zu seinem Bruch mit dem Kommunismus ein enger Weg­gefährte Titos war, glaubt, daß seine Landsleute mit selber geschaffenen Mythenleben. Der Kopf in den Wolken, der Leib bis zum Hals im Dreck, unversöhnt mit der Wirklichkeit, erfüllt von einem uner­reich­baren Ideal.

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Unter solchen Menschen hat der Rhapsode seinen legitimen Platz. Seine Erzählungen von der Unmittelbarkeit der Gefühle, von Liebe und Haß begleitet er auf einer einsaitigen Schoßgeige, der gusla. Er stilisiert das Heldenepos zum gesungenen Lehrbuch des Kampfes. Und er weiß, wovon er singt. Denn in kritischen Augenblicken vertauscht er die Gusla mit dem Gewehr.

Auch Petar II. Petrovic Njegos, der wohl größte Dichter der Serben, wurde nicht müde, in seinem Epos Der Bergkranz Massaker und Gewalt zu besingen. Ende des 18. Jhs. war es dem Clan der Njegosi gelungen, die widerspenstigen monte­negrinischen Stämme unter seiner Führung zu einen. Es entstand ein eigenartiger Zwergstaat - eher dem frühen Mittelalter zugehörig, als dem aufgeklärten Absolutismus seiner Zeit -, dessen Thron Petar 1830 als vladika, Fürst, und zugleich orthodoxer Bischof, bestieg. In wenigen Jahren schuf der auch körperlich mächtige Mann ein dichterisches Werk, das in den Balkanliteraturen seinesgleichen sucht. Dennoch blieb der umfassend gebildete Despot der archaischen Welt des Landes verhaftet. Besonders der erhabene Brauch, dem besiegten Feind den Kopf abschlagen zu lassen, hatte es ihm angetan. Er ließ in seiner Residenz Cetinje einen wie ein Nadelkissen geformten Schädelturm errichten, die tablja , auf dessen Eisenspitzen die heimgebrachten Trophäen aufgespießt wurden. Als der gefürchtete Smail Aga Cengijic in einen Hinterhalt geriet, ging Njegos seinen Truppen in vollem Bischofsornat entgegen. Er erhielt den dem Brauch nach gewaschenen und gekämmten Kopf des Aga zum Geschenk, warf ihn wie einen Apfel in die Luft und rief beim Auffangen: »Nun bist auch du, armer Smail, zu mir gekommen.«

Seltsam zurechtgeknetet erscheint da das Bild vom »progressiven« Philosophen und Humanisten, das in Jugoslawien und seinem Nachfolgestaat grassiert. Den Dichter-Fürsten auf einen kontem­plativen Lehrer seines Volkes zu reduzieren hieße, seine widersprüchliche Gestalt zu einem Abziehbild zu glätten. Die von jeder Generation durchlebte Erfahrung, ständig bedroht zu sein oder zumindest es zu glauben, ließ den Dichter das Wort wie eine Waffe handhaben.Das Kreuz zu tragen ist uns bestimmt, grauenhafte Kämpfe mit Eigenen und Fremden.

 

 

Der Zuspätgeborene

 

Die harten Jahre des 2. Weltkriegs, als sich das kriegerische Land vorerst zum letztenmal erhob, und die sich anschließenden Partisanenkämpfe haben auch einen anderen Dichter geprägt. Am 19. Juni 1945 wurde Radovan V. Karadzic in dem monte­negrinischen Dorf Petnjica geboren. Seine Schulzeit verbrachte er in Niksic (In meiner Heimatstadt blühen die Linden - so reimt er später) , bevor er das Studium an der medizinischen Fakultät in Sarajewo aufnahm. Danach arbeitete er an der Psychiatrischen Klinik Dr. Nedo Zec als Psychiater, Psychotherapeut und Gruppen­analytiker.

Mit 23 veröffentlichte er seinen ersten Gedichtsband Ludo koplje ( Die verrückte Lanze) - ein fast programmatischer Titel, der auf seine künftige Tätigkeit zu weisen scheint. 1971 folgte Pamtivek (Seit Menschengedenken), 11 Jahre später eine Sammlung von Kindergedichten Ima Cuda - nema Cuda (Es gibt Wunder - es gibt keine Wunder). Sein vorläufig letzter Band Crna bajka (Die schwarze Fabel) kam 1990 heraus, der ihm 1992 eine umstrittene literarische Ehrung einbrachte, als er den Solochov-Preis des russischen Schrift­steller­verbandes erhielt.

Inzwischen hatten ihn Eloquenz, Geltungsdrang und sicher auch der zähe Glaube an das »heilige historische Recht«, das großserbische Reich des Mittelalters wieder auferstehen zu lassen, an die Spitze der selbsternannten Serbischen Republik in Bosnien katapultiert, so als hätte der uralte montenegrinische Brauch Urständ gefeiert, in Krisenzeiten den Lorbeerkranz gegen den Helm einzutauschen.

Er habe nie zu den führenden Dichtern Saraje­wos gehört, behaupten seine Gegner. Immerhin fand er Zugang zum literarischen Kreis um Rajko Petrov Nog, der die »lyrische Belagerung der historischen Festung verspielter Ideale« besang. Mit Inbrunst spürte man den serbischen Mythen nach, die sich um die 1389 verlorene Schlacht auf dem Amselfeld ranken. Vielleicht ist es ein Hang zum Masochismus, daß ausgerechnet die verheerendsten Katastrophen in der serbischen Geschichte zahllose Epen und Heldengesänge inspiriert hat. Dabei wird allzu gern vergessen, daß das angeblich durch Verrat und Tücke der Türken untergegangene Reich nur von einer Handvoll adeliger Sippen und dem Klerus getragen wurde. Niemand war so uninteressiert und innerlich unbeteiligt an seiner später um so vehementer besungenen Größe wie das Volk. Passiv und abwartend sah es dem Geschehen zu. Erst allmählich bildete sich ein serbisches National­bewußtsein heraus, und zwar in dem Maße, wie mit der Zeit Willkür und Härte der Fremdherrschaft zunahmen. Ganz im Sinne der osmanischen Staats­räson wurde die Kirche die anerkannte Autorität der christlichen Untertanen. Das führte zu einer immer stärkeren Gleich­setzung von Glaube und Volk, ohne daß die religiöse Bindung der meisten Serben ein reines Zweckbündnis überschritt. Der Serbe gibt für die Kirche keinen Para, aber er wird sie auch nicht für Millionen verkaufen.

Hinter der scheinbaren Identität von Serbentum und Orthodoxie verbirgt sich eine ältere pagane Gottesvorstellung mit schamanistischen Zügen. Karadzic stellt sie der zölestischen anderer Völker entgegen, wenn er schreibt: Im Himmel geht der fremde Gott spazieren. Und der Unsrige verbirgt sich schüchtern im Gebüsch … und wagt sich nicht aus den Linden, aus den Vögeln heraus. Weiter heißt es: Und ruf unseren Gott aus den Bäumen an! Ein kühner Schritt zurück in eine verschollene Ära der Stammesgottheit, die, wenn man ihr nur genügend huldigt, alles Göttermögliche unternimmt, um ihrem Volk Vorteile zu verschaffen auf Kosten derer, die nicht dazugehören. Doch den »schüchternen« Gott müssen tatkräftige Männer zum Jagen tragen, Helden wie Gavrilo Princip, der Attentäter von Sarajewo im Jahre 1914, den Karadzic als histo­rischen Bezugspunkt nimmt, von dem ausgehend man erneut Widerstand leisten müsse. Man dürfe sich nicht mit der Erniedrigung abfinden, denen die Serben bis heute ausgesetzt seien. Doch der Dichter Karadzic verbirgt sein Leiden an der Historie - hier klingt das montenegrinische Erbe der Barden an - hinter einer ästhetischen Verdichtung und der metaphysischen Umwandlung der Wirklichkeit. Zwingend führt dieser Schritt in eine imaginative Grauzone, wo Realität und Fiktion sich unauflöslich durchdringen. Heimat, meine erste Fabel heißt es dann auch treffend. Nur inszeniert Karadzic nicht das rührselige Stück der heilen Heimat, in dem die Blut- und Bodendichtung schwelgt, vielmehr beschwört er das Unheil, das sie betroffen hat: Da liegt Petnjica wie ein zerstörtes Nest, wie ein verwüstetes Reich, als sei der Böse Geist hindurchgeritten.

Zum Visionär rafft er sich auf, wenn er die erträumte Ferne zunehmend luzider gestaltet, wo doch die unmittelbare Umgebung immer düsterer wird. In seinen letzten Gedichten, die er wenige Jahre vor Beginn seiner politischen Karriere schrieb, mutiert die Geschichte zur »schwarzen Fabel« die er durch eine »Ästhetik der Perzep­tion« - so der serbische Kritiker Marko Vesovic - zu bannen glaubt. Er verknüpft Dinge der Natur mit Mythen der Volksepik und stimmt das Ergebnis in einer naiven lyrischen Tonart. Dann setzt er diese von der Phantasie geschütz­te Welt - das glaubt zumindest der Dichter - dem Spiel der historischen Erfahrung aus. Somit ästheti­siert Karadzic nicht die Politik, wie es nach Walter Benjamin der Faschismus tut, sondern die Geschichte, das serbische Trauma schlechthin. Eine Geschichte, in der die epocha­len euro­päischen Kulturbewegungen seit dem Spät­mittelalter nicht stattfanden. Weder Refor­mation noch Gegenreformation, weder Renais­sance noch Barock haben ihre Spuren hinterlassen.

Selbst die Aufklärung fand nur mühsam ihren Weg in das zu Beginn des vorigen Jahrhunderts neu erstandene Serbien. Einer ihrer wenigen Vertreter war Vuk Stefanovic Karadzic (1787-1864), eine Gestalt von geschichtlicher Größe, dessen Einfluß auf das geistige Leben seines Landes nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Radovan Karadzic mit seinem nur auf das Serbische fixierten Blick muß es wohl irritieren, daß ausgerechnet sein berühmter Namensvetter die Grundlagen zu einer gemeinsamen Sprache der meisten Südslawen, dem Serbo­kroatischen, gelegt hat. Dennoch sieht er sich in seiner Nachfolge und weist ihm in seinem Pantheon als »Vater Vuk« einen mystisch verklärten Platz zu, der die historische Gestalt zu einem nationali­stischen Haudegen verzerrt. Der gemeinsame große Name wird zur Last, die zwangsweise den Nachgeborenen beschädigen muß.

 

 

Der Griff zum Zenit

 

Karadzic war gerade 26, als im Juni 1971 Ljubomir Micic völlig vereinsamt in seiner Bel­grader Wohnung starb, die er zehn Jahre lang nicht verlassen hatte. Von den Intellektuellen vergessen, soll er schon zu Lebzeiten in eine Art Leichenstarre verfallen sein. Unverdrossen ver­trat er bis zuletzt seine weniger literarischen als vielmehr moralischen Thesen, die er in den 20er Jahren der Welt entgegengeschleudert hatte. Von den Kunstrichtungen im übrigen Europa angeregt, entstanden in Belgrad zu dieser Zeit spezifische Varianten des Expressionismus, des Dadaismus und des Surrealismus. Diese ser­bische Avantgarde lebte aus dem Geist einer internationalen ästhetischen Gemeinschaft, wenn man von der Gruppierung um die Zeitschrift »Zenit« absieht, in der Micic sein der westlichen Kultur ent­gegen­gestelltes serbisch-slawisches Gesell­schafts­ideal propagierte: Frau Europa, wir spucken Ihnen in Ihr unge­waschenes Maul. Wir werfen die Bomben unserer Gedichte in deinen entstellten Himmel. Mit unserer barbarischen Faust zerschmettern wir den Wasserkopf unserer Stiefmutter Europa.

Offensichtlich müssen sich Künstler wie Georg Kaiser, Walter Gropius, Iwan Goll und Ilja Ehrenburg von solchen verbalen Eruptionen angesprochen gefühlt haben, sonst hätten sie kaum regelmäßig Beiträge für den »Zenit« geliefert.

In seinem »Manifest des Zenitismus« von 1921 schuf Micic einen entschieden anti­zivilisa­torischen Kulturbegriff, der auf bizarre Weise den traditionellen serbischen Komplex gegenüber dem Westen in eine Überlegenheitspose um­kehrte. Die Balkanisierung Europas war angesagt, wobei Kroatien zum Paradigma der verhaßten westeuropäischen Kultur wurde.

Reißt nieder die Vorstädte der großen und ansteckendenden Metropolen Europas. Wir sind Kinder des Sengens und Brennens - wir tragen die Seele des Menschen. Wir sind die Kinder der Sonne und der Gebirge. Der Mensch ist Opfer. Die Sünde des Ostens war notwendig, denn dadurch haben die Menschen sich selbst erkannt. Unsere Burschen tragen noch immer zwischen den Zähnen Flöte und Messer. Nieder mit den Grenzen. Die Grenzen sind für die Begrenzten.

Stellt man den Zeitbegriff auf den Kopf - ein im balkanischen Umfeld durchaus zulässiges Verfahren - so könnte man Micic kurzerhand zum Ghostwriter des Radovan Karadzic erklären. Diese von einer solch verbohrten Wucht geprägte Diktion, allerdings ästhetisch abgefedert und zuweilen von einem resignativen Parlando durchbrochen, be­stimmt dessen gesamtes Werk. Ein unerschöpflicher »Vorrat an Gold und Mangan« ist hier angehäuft, dessen sich der Dichter nur zu bedienen braucht. Stutzen muß er indes bei dem Satz »Die Erde ist für den Bruder-Menschen, nicht für den Mörder« denn die pazifistische Haltung seines Cicerone paßt nicht in sein Weltbild. Bei aller Zivilisationskritik kann der Zenitismus seine Herkunft aus dem städtischen Milieu nicht verleugnen.

 

 

Die Philosophie der Palanka

 

Karadzic kommt vom Land. Er ist ein Geschöpf der Palanka, einer für Serbien typischen Lebens­form, die in einem schwer zu fassenden Niemands­land zwischen Urbanem und Ruralem anzusetzen ist. Dieses in sich geschlossene Kollektiv hat das Stammesdenken nie überwunden. Aus Angst vor der Welt klinkt es sich aus der Geschichte aus. Nur auf die Dauer eingeschworen, widersetzt es sich der Zeit. Die Vergangenheit verliert ihren autonomen Wert und schrumpft zur bloßen Nicht-Gegenwart. Sie hat das Jetzt nur zu bestätigen.

Der Bewohner der Palanka verfügt über ein ausgesprochenes Stilgefühl, gerade weil er die Pluralität der Stile negiert, die ins Chaos, in den Schmutz führt. Er selbst ist rein.

Rein ist auch das Schlüsselwort des Dichters. Läßt Bulatovic seine Helden bis über die Knöchel in Blut waten und verbiegt sie so zu grotesken Figuren, die gerade dadurch menschliche Züge erlangen, so bleibt das lyrische Ich bei Karadzic makellos rein. Aus der Zeit genommen versteckt es sich in einem Dickicht stereotyper Bilder, die nur bisweilen Leuchtkraft erlangen.

Doch hinter dem pantheistischen Ikonenmaler tastet sich der Autor hervor: wissend, vereinsamt und trotz seines selbstsicheren Auftretens scheu. Die heroische Haltung des Montenegriners ist hier zur unfreiwilligen Farce pervertiert.

 

  Freut euch des Krieges, freut euch,
Soldaten und Brüder ...
Der Friede wird schlimmer sein!
   
Serbisches Soldatenlied