Karoline Graf


 

Goldrichtig

 

Ich wollte mich um ein Thema sammeln da draußen. Ja, ja, ja. Um das, was da goldrichtig kommt: Ein Ausflug Deppen, ein Auslauf hundsköpfiger Hängebauchschweine, ein an die Luft alter Frauen.

Grün, rot, gelb und blau. Es gibt in diesem Kindermonat Juni keine Zwischentöne. Ich schwimme durch frisch gemähtes Gras von Rose zu Rose.

Ihr alten Schwimmerinnen mit euren Boskopbäuchen, gegen 10 Uhr treiben eure Bademützen auf dem Becken. Am Beckenrand warten eure Badeschlappen. Zu Hause zerfallen euch die Hauben unter den Händen vom täglichen Chlor. Beim Eintreten rauschen gleich drei Klospülungen. Schüchterne Pupse, denen man den Wind aus den Segeln genommen hat. Dann wird ein Duschzehnerl eingeworfen und mit runterschlappendem Badeanzug alles an euch einmal kräftig abgeschäumt. Während ihr Mädchen nun wieselflink in eure Zelte schlüpft, klärt ihr kurz, wer heute nicht da ist, wer morgen nicht kommt, wer Besuch hat, und wer heuer zum Erdbeerpflücken rausfährt. Einstimmig stellt ihr fest, daß Erdbeere doch gleich Erdbeere ist, daß das Pflücken für euch nichts mehr ist, und daß ihr die Marmelade jahrelang doch selbst gefressen habt, der Mann mag gar keine Marmelade, außerdem steht der ganze Keller noch voller Gläser. Lotte Maier ist schon fertig. Die anderen cremen noch Gorgonzolabeine oder klammern klamme Strähnen. Lotte hat es nicht nötig. Ich warte draußen auf der Bank, wenn's nicht allzu lange dauert, ansonsten sag ich schon mal auf Wiedersehen bis nächste Woche. Wenn nur der Stromableser heute schon käme. Die Enkel erst Ende Juli. Mit dem Hund zum Tierarzt. Morgen kann ich nicht kommen. Kaum zwei Minuten auf der Sonnenbank, springt Lotte auf und eilt zum Ausgang. Die zweite Siegerin sieht Lotte nur noch von hinten eilen und ruft sie nicht. Nicht außerhalb der Umkleide. Laufen sie nicht zusammen nach Hause. Haben beide keine Zeit.

Ich habe mein Kind jetzt doch abgestillt und mir die Haare ganz kurz und frech geschnitten. Wenn das mein Mann sieht, habe ich der Friseuse erzählt, der schlägt mich tot.

Ich war krank, hatte Grippe und mußte Penicillin schlucken. Deswegen hätte das Kind schon weiter trinken können. Aber das Fieber hat die Warzen so erhitzt, daß sich der Kleine immer eine ganz rote Nase geholt hat vom Trinken. Das konnte ich nicht lassen. Jetzt bekommt er die Flasche und kann sie auch mal von den Schwiegereltern bekommen, wenn ich mit meinem Mann ins Superfly gehe. Wenn ich ein bißchen drücke, kommt schon noch Milch. Am Wochenende haben wir mal wieder jede Menge Geld rausgehauen. Einen Hunderter im Steakhouse, Maredo, wie das heißt, dann haben wir uns noch Kassetten geholt aufs Wochenende, da geht noch mal ein Hunderter drauf, und für das Kind am langen Samstag noch den Kriechtunnel im Ikea, noch mal dreißig, und was man da noch so mitnimmt, da kommst du schon auf deine 500 DM.

Onkel Fernand ist gestorben. Ich will deinen Schrank, Toter. Es geschieht mir recht. Den kriege ich noch sauber und schlage drauf mit dem Lappen und kriege ihn nicht tot.

Dieses Hin und Her im Zimmer wie eine Lokomotive. Deine tägliche Wanderung. Vier Schritte auf, das braune Schlafsofa, vier Schritte ab zum Tisch vorm Fenster, der vernebelte Blick auf den Westpark. Immer diese beiden Aussichten. Du hattest den ganzen Tag Zeit und kriegtest doch kein Staubkorn gewischt. Du hattest von morgens bis abends Zeit. Ich kratze den Schrank aus. Irgend etwas löst sich da. Rote Beize färbt meine Finger. Färbt, näßt, stinkt. Reizt meine Schleimhäute, am ganzen Körper beginnt es mich zu jucken. Als hätte ich mich gerade komplett aus einem Secondhandshop eingekleidet. Ich will sie runterschwemmen, die stinkende Teerschicht. Einmal war ich zu Besuch bei dir. Wir tranken Edelkirsch aus Likörgläsern, hätte ich mir die mal besser angeschaut. Du rauchtest Zigarre, und ich hielt die Tränen zurück. So wirkt Zigarrenrauch auf mich. Ich könnte in Tränen ausbrechen. Zusammen haben wir uns deine Fotoalben angeschaut. Du sagtest, man müsse Unmengen von Bildern verknipsen, um ein gutes zu erhalten. Du hast viel Frisches fotografiert. Blumen, Vögel, Feste. Und du hast schöne Bilder gemalt. Vögel, Blumen, Pötte, Landschaften. Die habe ich im Schrank gefunden. Merkwürdig, daß du nicht mal ein bißchen abgewischt hast und sie dir aufgehängt hast in deiner verquarzten Bude. Ich werde sie in der Verwandtschaft verteilen. Da gibt es schon ein paar Bilder, Obst, die sind ganz gut, und wir haben noch so viel kahle weiße Wände in der Wohnung. Dort werden sie sich ganz gut machen. Und Mausi und Schwager Rainer werden vielleicht das eine oder andere wollen, und auch Tobi und Bernhard. Die haben ja jetzt dieses riesige Barockhaus gekauft, denen fehlt es bestimmt noch hinten und vorne an Dekoration. Ihr hattet Prospekte herumliegen von Gartenhäusern. Eins von diesen Dingern wolltet ihr euch kaufen, um darin zu leben. Das habt ihr ganz ernst gemeint. Und die Bäume mit den Riesenäpfeln hättet ihr bestellt und blaue Tulpen gepflanzt und Spaliererdbeeren gezogen. So glücklich warst du auf einmal, daß du deine Wanderungen beim Erzählen unterbrachst, deine Tabletten nicht mehr nahmst. Du hast dann einen Selbstmordversuch unternommen. So unrealistisch. Man darf in Gartenhäusern überhaupt nicht wohnen. Ihr hattet manchmal Vorstellungen wie kleine Kinder. Vielleicht, wenn man sie neu rahmen läßt. Ein Verfahren sollte es geben, wie man so was waschen kann. Wenn man es mit Wasser machen könnte. Holz kriegt man mit Wasser nicht sauber. Das zieht viel zu schnell ein. Der ganze Schrank stinkt wie ein nasser Hund. Ich muß was Öliges besorgen, was diesen Film runtersalbt, auf Öl-in-Wasser-Basis. Es gibt doch diese Countryhousedüfte. Davon sollte ich was besorgen und reinhängen. Meine Hände sind so trocken vom Essigwasser. Das zieht die Feuchtigkeit raus wie nix. Und mein Gesicht fühlt sich so aufgequollen an, wie nach einem Dampfbad, nur eben ungesund. Ich stell mich jetzt erst einmal unter die Dusche und mach mir Seesand Mandelkleie. Ich glaube, ich brauche einfach etwas Abstand, im Grunde war ich ja jetzt überall mal mit dem Schwamm.


Bei Brauns daheim

Wie wunderbar so ein Baby riecht, nach Penaten, Bebe, Bübchen. Brauns, ihr habt ein rosa Riesenbübchen mit Schwänzchen, das glänzt wie eine Speckschwarte. Auf Hochglanz poliert nach dem Bad in der Wanne mit dem Entenkopf. Auch ist ihm recht heiß in seinem "Hallo Baby" Nickisamtstrampler. Schweißperlen säumen den blondfuseligen Haarkranz. Ihr habt alles neu. Flaschen, Sauger, Warmhalteteller, Babyphone. In Babys Bett sieht es aus wie auf dem Oktoberfest. Aus Eurer winzigen Wohnung direkt an der Stadtmauer habt ihr richtig was gemacht. Vor allem Frau Braun, du hast viel aus deinem Laden mit nach Hause gebracht. Geschenkartikel. Beinahe hättet ihr gar kein Kind gekriegt. Die wollten nicht bei dir im Bauch bleiben. Bübchens Geburt war ziemlich schwer. Wog ja auch fast 9 Pfund. War übertragen. Aus eurer kinderlosen Zeit habt ihr noch den Yorkshire Terrier. Auch ein richtiger kleiner Mann. Gleich hinter der Tür zu eurem winzigen Schlafzimmer liegt sein Kissen. Da reibt er seinen Pinselkopf, bis kleine Tröpfchen dran herabtropfen. Ein Gutenachtkissen aus dem Laden mit Duftmischungen gegen den sämigen Geruch.

Dein Babygeruch steigt mir in die Nase.

Ich schütte Zitrone drauf. Verätzt stirbst du nicht. Es ist zu spät jetzt; so tot kannst Du nicht weiterleben. Warum stirbst du so scheißlang. Ich hau dich auf den Kopf, verdreh doch nicht die Augen so verrückt. Schau mich nicht an mit diesem Blick, der mich trotz alledem so furchtbar liebt. Ich gebe es jetzt auf. Ich kann das gar nicht. Mach doch, was du willst. Ich helf dir nicht. Das mußt du jetzt mal ganz alleine machen. Wenn ich wieder reinkomm, ist alles sauber. Allein, wie du kamst aus diesem Schmerz am rechten hinteren Oberschenkel. Als ich die Stelle näher betrachtete, war da eine Paprika, die in die Haut eingewachsen war, nur der Butzenkranz war sichtbar. Ich zog am Stiel und öffnete eine kreisende Wunde, die an den Rändern ganz matschig war. Der Verschluß bestand aus glitschigen Fäden, und ehe ich mich versah, fiel er in die Kirschsaftdose. Ich hoffte, ihn durch einen beherzten Griff ins Innere herauszufischen, bekam aber nur Klumpen zu fassen, die sich unter meinen wühlenden Fingern auflösten. Ich suchte einen Arzt auf. Ich sagte: "Ich bin sehr krank."

 

Abends lege ich mich zur Ruhe und warte auf Markus Neu.

Zuverlässig jede Nacht gesellt er sich an meine Seite. Auf Ausflügen läuft er neben mir her und schiebt seine Hand in meine, und auf Veranstaltungen verdrängt er mit verlegenem Lächeln, aber sehr bestimmt, die Person auf dem Stuhl neben mir, weil sein Platz an meiner Seite ist. Markus Neu will zu mir gehören. Nur Küssen ist mit Markus nicht gut. Anfangs schon, da spüre ich ein Ziehen und will an Markus saugen, aber wenn wir uns gefunden haben, Lippe an Lippe, dann kommt seine stinkige Zunge und macht alles kaputt. Jedesmal dieser trockene Gestank, der unser Mundinneres zerfallen läßt zu bröckligen Gipsklumpen, in denen rührt Markus mit seiner Zunge. Der schlechte Kuß hat keinen Einfluß auf das tiefe Einverständnis, das zwischen uns herrscht. Markus liebt mich, obwohl er nicht weiß, wie ich aussehe. Ich sehe nicht aus. Er sucht mich selbstverständlich aus unter den anderen Frauen. Ich weiß von Markus sonst nicht viel. Er war immer Turner und lief als Kind auf den Händen aus dem Klassenzimmer. Kurz vor dem Läuten schon sprang er frech auf den Tisch und zitierte Wilhelm Busch: "Ach, juhu, nun ist's vorbei, mit der Kinderquälerei." Markus trug dieselben Sachen immer zu klein. Unter seiner orangenen Badehose mit Maikäferflicken zeichnete sich interessanterweise die Lage seines Penis ab. Seit ich ihn an seinem 17. Geburtstag im Sommer mit knielangen Fußballstrümpfen sah, schauerten Orgasmen mir bis in die Waden runter. So habe ich Markus Neu endlich abgekriegt.