Mark Tanner

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Der Käufer

 
Hergsell sitzt auf dem Traktor. Wirft ihn am Ende des frierenden Feldes herum. Tiefschwarz,
aufgerissen dahinter die Erde. Jede Furche im schwindenden Tag wird in den Haaren Rauhreif. Mir ist kalt. Ich denke an die verschneiten Hänge der Herfahrt. Tannenbestand. Die
hinteren Baumreihen lösen sich im Nebel auf. Dazwischen steil, schroff Kalksteinwände.
Enger und enger drängt sich das Tal. Vom Parkplatz lnzigkofen aus habe ich den Amalienfelsen gesehen. Der Fluß staut sich dort beckenartig. Außer dem Murmeln, Strudeln,
Schlucksen und Plätschern des Wassers ist Stille ... ich will nun aus dem Fuhrgeschäft
aussteigen. Corinna droht mit Scheidung, weil ich ständig unterwegs bin. Seit Frühjahr
reden wir über den Erwerb eines Hofes. Mit Feldern, die ich bei Wintereinbruch rasch
umpflüge. Wir könnten auch Viehzucht betreiben. Nicht zu viel. Und Hergsell soll der Käufer meines Lastwagen werden.
   Über eine bundesdeutsche Organisation mit Sitz in Berlin bin ich vor 18 Jahren nach
Jericho gekommen. Die 9. Semesterferien. Ursprünglich als Kibbuzarbeiter für sechs
Wochen vorgesehen, wurde ich per Verwechslung in eine Glasbläserei geschickt. Blieb dort
bis zur Gesellenprüfung und wurde Fahrer für einen Fruchtexporteur. Zwei Jahr später bin
ich zurück nach Stuttgart gegangen und habe selbst mit dem Fuhrgeschäft angefangen ...
nun ist es Zeit, daß ich aufhöre. Laiz beispielsweise. Hier liegt Hergsells Hof. Keine
Zypressen. Kein Pinot Grigio. Mittwochs Markt, und Samstags auch Markt. Für den Rest
der Woche ausgeblichene Schaufensterauslagen. Wieder heiße Maronen, Glühwein und
Lichterketten. Wenn die neuesten Ideen diesen Ort erreichen, sind die abgewetzt, dünn und
leicht zu durchschauen.
   Dunkelheit. Hergsell schaltet die Lichter ein. Doch nach einer Weile klappt er die Schar
nach oben. Steuert den Schwungradschlepper neben das Steinkreuz. Paffpaff rußt es aus
dem kaminartigen Auspuff. langsamer, langsamer, langsamer, und Hergsell stapft entlang
der Reifenspuren auf mich zu. Blauer Arbeitsanzug, Fahrerkappe aus Rindsleder, schwarz.
An seinen Unterarmen und im Gesicht Schmieröl. Wie angefroren trifft mich der Handschlag. Den Fingern fehlen die Endglieder, abgehackt von einer zuschlagenden Maschine. Rauh. archaisch seine Sprache, die ich nicht wiederholen kann.
   Wir sind im Ort. Rechts rein, sagt Hergsell, der neben mir im Führerhaus des
Lastwagas sitzt. Scheinwerferkegel streifen Quadersteine. Das Wohnhaus unverputzt. Der

verfallene Maschinenschuppen. Als ich stoppe, entdeckt Hergsell am Armaturenbrett das
„Jerichoauge". Es ist eins von den Glasaugen, die in meiner Bläserei hergestellt wurden.
Ich habe mir einen Spaß daraus gemacht. In Anatolien ist ein Anhalter aus dem fahrenden
Lastwagen gesprungen, nachdem er es gesehen hatte. Die Zollbeamten staunten am
meisten. Auch Hergsell ist das gläserne Auge nicht koscher. Es betastet es. Versucht es zu
drehen. Bricht es dabei von der Unterlage. Ungelenk wendet er das Glasstück zwischen
den Fingern. Starrt in die Iris. Hellrot die kleinen Adern, hin zur Mitte. Das Blut, das durch
das Gewirr pulst. Als roter, in den Menschen eingewachsener Baum seine Gestalt abtastet -
und dann formlos in breiten Pfützen gerinnt. Und niemand denkt, daß es in der
Verzweigtheit der Gefäße eine Form hatte ... Hergsells Gesicht ist bleich. Blicklos steckt er
das Glasauge in die Tasche. Doch ich werde es ihm wieder wegnehmen.
   Hergsell öffnet die Eingangstür. Schmal, jäh der Treppenaufgang. Scharfer Geruch.
Kläffen. Tritt nicht in Hundsdreck, warnt er. Hergsell züchtet Spitze. Der ganze erste Stock
ein Zwinger. Wütend springen die Tiere gegen die Tür. Ich denke an den Rindertransport,
den die Zöllner von Larnaka aufgehalten haben. Bis das Vieh nicht mehr brüllte. Weil es
verdurstet war. Einer von Hergsells Hunden ist los. Rotbraunes, struppiges Fell, hinkt das
Tier über die kaputten Stufen. Beschnuppert mich und pißt gegen die Wohnungstür.
   Auf einem weißen Emailleschild „Audienzzimmer". Wir sinken in die Sitzgarnitur. 53
Spitzpokale zähle ich im Wandregal. Er hat sie mit seinen Tieren gewonnen. In den
Eichenbalken der Decke mächtige Sprünge. Ein Tisch. Darauf ein Adventskranz, verdorrt.
Und offensichtlich seit Wochen die Papierfahne am Faxgerät nicht abgeschnitten. Womit er
nur den Champagner bezahlt, den sein livrierter Butler gerade hereinbringt. Aber keine
Freundin. Die Frau, mit der er Jahre ein Verhältnis gehabt hat, ist Standesbeamtin von Laiz
geworden und versucht, die in die Familienbücher gekritzelten roten J's zu entfernen. Seine
Hunde sind geblieben; Behutsam, kotverschmiert setzt der Spitz seine Pfote zwischen
Scherben und leere Konservendosen. Hergsell unterschreibt. Hält mir den Scheck hin. Als
ich nach dem Auge frage, kramt er in der Tasche. Zeigt mir etwas Glänzendes. Nimm.
Behalt's.
   Länglich, glattpoliert. Das Metall ist noch warm. Seine Häftlinge hatten es gut gehabt.
Sie konnten von ihm gelegentlich einen Laib Brot eintauschen. Das Ölschieferwerk.
Treibstoffgewinnung. Hergsell ist Installateur gewesen. Brot, Kartoffeln und Würfelzucker
hat seine Schwester organisiert. Die arbeitete in einer Lebensmittelkette. Gemeinsam
brachten sie einiges davon an den Zaun. Die dahinter, die den Ölschiefer hauen mußten,
bezahlten mit Gold.
   Ich stehe am Brückengeländer. Drunten das kalte Donauwasser, schwarz, ruhig,
gleichmäßig um zwei Schwäne. Am Ufer hat sich eine Eisschicht gebildet, leise, dünn,
voller Risse und Adern. In meiner Tasche das Zahngold. Vier Vertiefungen sind
eingearbeitet, Kauflächen. Auch die Zahnzwischenräume. Mein Fingernagel gräbt in ihnen.
Die Zapfen an den Enden sollten es im Unterkiefer halten. Ich öffne die Faust. Das
Platschen ist kurz. Kaum hörbar.